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  • Gibt es einen Gott?

    Ich bin christlich erzogen wurden. Frei evangelisch. Ich unterhielt mich gestern mit einem Kollegen und er fragte mich, was das bedeutet. Frei evangelisch? Die Unterschiede zur katholischen oder evangelischen Kirche sind u.a., dass sich jede Gemeinde autonom verwaltet, Kinder nicht nach der Geburt getauft werden, sondern erst, wenn sie sich als Jugendliche oder Erwachsene selbst dafür entscheiden und dass die Gemeindemitglieder keine Kirchensteuer bezahlen, aber ihren Anteil an die Gemeinde spenden. Dieser Anteil soll ein Zehntel des Einkommens betragen, weil das so in der Bibel steht. Es gibt sicherlich noch viele und auch wichtigere Dinge, die in einer frei evangelischen Gemeinde anders sind, aber ich bin keine Expertin. Schon gar nicht, für die evangelische und/ oder katholische Kirche.

    Ich bin also in eine frei evangelische Familie geboren wurden und hatte zunächst keine Wahl, an was ich glauben will. Da meine Eltern die Hausmeister der Kapelle (meine Mutter haupt-, mein Vater nebenberuflich) waren, haben wir im Prinzip in der Kirche gewohnt. Unser Haus war durch den Eingangsbereich des Kirchengebäudes  mit der Kapelle verbunden. Zum anderen Ende grenzte es an das Haus des Pastors. Wow! Ich wohnte Wand an Wand mit Gott.

    Das bedeutet auf der einen Seite, dass ich mitten im Geschehen aufwuchs, aber andererseits saßen ich und meine Familie förmlich auf dem Präsentierteller. In Baptisten-Gemeinden sind alle Mitglieder Brüder und Schwestern, denn Gott ist der Vater, der alle eint. Das bedeutet, dass auf einen engen und vertrauensvollen Kontakt untereinander Wert gelegt wird. Wie in einer Familie.

    Meine Eltern erzogen uns gemäß ihren Überzeugungen. Meine Mutter erzählte von der Bibel, ich war jeden Sonntag in der Sonntagsschule, samstags war Jungschar. Ich hatte also viele Gelegenheiten um vom Wort Gottes zu hören. Ich lernte, dass Gott die Welt geschaffen hatte, in sieben Tagen. Jeder müsse Jesus als den wiedergeborenen Sohn Gottes anerkennen. Außerdem ist Jesus für meine Sünden gestorben. Wer an Gott glaubt, der zweifelt nicht!

    Ich zweifelte trotzdem. Wenn die Welt, das ganze Universum, von Gott erschaffen wurde, wer hat denn dann Gott erschaffen? Und wie konnte er in sieben Tagen die Welt aus dem Nichts schaffen? Diese Zweifel konnte ich nicht auflösen. Ich habe nie mit meiner Mutter darüber diskutiert, was sie über Charles Darwin und die Evolutionstheorie denkt. Aus Gründen. Ich kann mich erinnern, dass sie einmal sagte, dass Dinosaurier  nicht existiert haben. Dass der Mensch vom Affen abstammt… Niemals!

    Keiner hat Gewissheit darüber, wie wir wurden, aber für mich ist die biblische Schöpfungsgeschichte eben eine Geschichte. Die Bibel ist meines Erachtens ein Geschichtenbuch. Für mich ist es unerklärlich, wie man sein Leben nach einem Buch ausrichten kann, selbst wenn es das meist gedruckte ist.

    Ich habe die Erfahrung gemacht, dass Glauben missbraucht wird. Die Gläubigen stellen sich einen Freibrief für ihr Handeln aus, weil sie im Namen Gottes handeln. Scheinheiligkeit!

    Dass ich nicht an Gott glaube, hat aber mit diesen Erfahrungen nur zweitranging zu tun. Ich habe viele Jahre geglaubt, dass es einen Gott gibt. Inzwischen spielt das keine Rolle mehr für mich. Die Antwort auf die Frage, wie die Welt entstanden ist, werde ich niemals erhalten. Das ist in Ordnung für mich, ich brauche keine Erklärung.

    Aber klar ist auch, dass jeder für sich selbst entscheiden soll, was er glaubt, solange er sich damit gut fühlt. Das gilt auch für meine Kinder. Nur katholisch sollen sie bitte nicht werden. 😉

  • Zeit des Erwachens

    Dieses Gedicht habe ich zum ersten Mal gehört, als ich mit meiner Schwester und meiner Mutter im Kino den Film „Zeit des Erwachens“ gesehen habe. Während des Films habe ich Rotz und Wasser geheult. (Eine kurze Zusammenfassung der Handlung gibt es bei wikipedia.)

    „Der Panther“ traf einen Nerv in mir, der Grund war mir unklar. Es zu lesen löst bei mir immer wieder Traurigkeit aus. Es ist in so klarer und treffender Sprache geschrieben.

    Ich kann mich nicht erinnern, wie ich mich als Kleinkind fühlte. Ich hatte versucht mich meiner ältesten Schwester anzuvertrauen. Ihre Antwort: „Unser Bruder tut so etwas nicht!“. Im Rückblick ist mir klar, dass sie selbst vollkommen überfordert und nicht in der Lage war mir zu helfen. Ich kann mich nicht erinnern, danach einen weiteren Versuch unternommen zu haben, meine Lage zu offenbaren. Es gab in meinem sozialen Umfeld keine Erwachsenen, zu denen ich ein vertrauensvolles Verhältnis gehabt hätte. Abgesehen von meinen Eltern.

    Ich war nur kurze Zeit im Kindergarten. Ich hatte morgens über Wochen Bauchschmerzen und wollte nicht dorthin. Ich fühlte mich im Kindergarten unwohl. Meine Eltern gaben irgendwann auf. Ich konnte Zuhause bleiben und ich fand es toll. Meine Geschwister waren in der Schule, mein Vater bei der Arbeit, meine Mutter arbeitete stundenweise und hatte immer viel zu tun (wie es als Mutter oft so ist).

    Und ich war ungestört und konnte für mich sein. Ich war, wie meine Mutter nicht ohne Stolz sagte, ein gehorsames Kind und sie konnte darauf vertrauen, dass ich keinen Unsinn anstellte. Ich war ein sehr vernünftiges Kind.

    In meinem Zimmer zog ich mich zurück. Ich saß in einer Art Käfig. Als Kleinkind konnte ich diesen nicht ohne Hilfe verlassen. Ich fühlte mich dort sicher, ich kannte mich dort aus, es gab nichts fremdes. Und über die Jahre gewöhnte ich mich daran, dort festzusitzen. Ich kam zwar nicht raus, aber ich konnte bestimmen, wer rein kam. Ich hatte die Kontrolle.

    Ich frage mich, warum ich später nicht ausbrach. Warum ich nicht rebellierte. Und ich denke, dass es Angst war. Zuhause kannte ich alle, ich wusste, wer wie tickt und ich hatte gelernt damit umzugehen. Aber was da draußen war, das wusste ich nicht. Ich hatte sicherlich eine Ahnung, ich ging zur Schule, ich hatte Freundinnen, aber ich ließ keinen an mich ran, alles blieb an der Oberfläche.

    Ich habe in dieser Zeit sehr viel verpasst. Ich kann nicht souverän in eine Situation gehen, wenn zu viel unbekanntes auf mich wartet. Ich kann aber perfekt vorspielen, dass es so ist. IDas habe ich von der Pike auf gelernt! Den äußeren Anschein zu wahren.

    Inzwischen verlasse ich den Käfig, er ist aber noch da.

  • Warum schreibe ich hier?

    Ich habe im Frühjahr einen Mann kennengelernt, der bei dem Versuch aus der DDR zu flüchten, festgenommen wurde. Er erzählte davon, wie es dazu kam und was danach passierte. Es ist für mich einfach immer wieder unvorstellbar, was Menschen anderen Menschen antun können.

    Er berichtet als Zeitzeuge im In- und Ausland von seiner Geschichte und versteht dies als Form der Therapie. Durch die Nachfragen der Menschen und über das Nachdenken über die Antworten, kann er seine Gedanken und Erinnerungen ordnen und schafft Klarheit über die Dinge.

    Das hat mich sehr beeindruckt. Ich plane jetzt sicherlich nicht, demnächst vor fremden Menschen Vorträge über sexuellen Missbrauch zu halten, aber hier im Kleinen kann ich meine Erlebnisse aufschreiben (und wenn es jemand liest, dann macht sie oder er es freiwillig). Das hilft mir und ich hoffe, ich werde weiter an Klarheit gewinnen können.

    Vielleicht komme ich an einen Punkt, an dem ich mich entschließe, in der realen Welt darüber zu reden. Ich habe mit meinem Mann darüber gesprochen. Mit einer Freundin, natürlich mit der Therapeutin und meinem Hausarzt, und auch mit den Psychologen in der Reha (von der ich auch noch schreiben werde). Nach der Reha hatte ich das Gefühl alles gesagt zu haben. Ich denke, dass einer Phase, in der ich viel gesprochen habe, eine Phase der inneren Einkehr folgt. Durch das Schreiben versuche ich, Ordnung in mir zu schaffen.

  • Das ist nicht genug!

    Mit der Zeit fühlte ich mich von meiner Therapeutin unter Druck gesetzt. Von Beginn an empfahl sie mir meine verdrängten Erinnerungen wieder ans Licht zu holen. Wie eine Art Kiste, die ich öffnete, um die Dinge darin zu betrachten. Sie sagte, dass ich die Kiste dann wieder schließen könnte, wenn ich wollte. Es wäre aber sehr wichtig sie zu öffnen. Danach wäre ich befreit.

    In den 10 Monaten der Therapie waren Zweifel meine ständigen Begleiter. Kann ich denn glücklich sein, wenn ich die Kiste nicht öffne? Darf ich überhaupt glücklich sein? Diese Zweifel zwangen mich, mich mit Fragen auseinanderzusetzen, die ich sonst nicht zuließ. Ich begann Bücher zu lesen und suchte nach anderen Wegen. Meine Therapeutin erzählte ich währenddessen von den Schulproblemen meines Sohnes. Sie erzählte von Pferden.

    Ich spürte, dass sie es für den einzigen und richtigen Weg hielt, mein Trauma aufzuarbeiten und mich mit meinen Eltern zu versöhnen. Aber wollte ich das?

    In meinem Leben traten viele Veränderungen ein. Kleine und auch große. Ich besuchte einen wöchentlichen Kurs zur Progressiven Muskelentspannung. In einer Gruppe. Ich denke, dass das für viele kein Problem darstellt mit anderen fremden Menschen in einem Raum auf Matten zu liegen und zu entspannen. Für mich war es ein riesen Ding. Es hat mich viel Überwindung gekostet.

    Ich kündigte meinen Job. Ich brach den Kontakt zu meiner Schwester ab. Ich schrieb mich für ein Studium ein. Die Veränderungen taten mir gut!

    Ich meldete mich zu einem eintägigen Seminar zum Thema Dynamische Muskelentspannung ein. Ich hatte mir einige Wochen zuvor ein Buch zu dem Thema gekauft und hatte dann zufällig gesehen, dass der Autor diesen Kurs über die VHS anbot. Mich zu einem VHS-Kurs anzumelden, war für mich wieder ein großer Schritt. Fremde Menschen in einem Gebäude, in dem ich zuvor niemals gewesen war. Ich bei einem VHS-Kurs? Womöglich nur mit Frauen! Schreckliche Vorstellung. Und in der Tat war es so, dass alle meine Vorurteile bestätigt wurden, aber es war ein wirklich guter Tag!

    Der Referent sagte für mich entscheidende Schlüsselsätze. „Was in der Vergangenheit passiert ist, kannst du nicht verändern. Was zählt, ist heute. Ein Trauma muss nicht aufgearbeitet werden, wenn du dich gut fühlst. Vielleicht kommt der Tag, an dem du es bearbeiten willst. Oder er kommt nicht. Es zählt nur, wie du dich fühlst.“

    Das ist natürlich keine neue Erkenntnis, aber es tat mir so gut, es zu hören. Nachdem Seminar war ich erleichtert. Es nahm mir einen Teil meiner Zweifel. Wenn ich mich glücklich fühle, dann bin ich glücklich.

    Zwei Tage später hatte ich eine Sitzung. Ich erzählte meiner Therapeutin voller Begeisterung von dem Kurs und wie gut er mir getan hatte. Ihre Begeisterung hielt sich unterdessen in Grenzen. Sie war aufgebracht und forderte mich auf ihr zu zeigen, welche Entspannungsübungen wir gemacht hatten. Ich weigerte mich. Sie geriet in Rage. Sie warf mir vor, dass die Veränderungen in meinem Leben nicht genug wären. Ich fühlte mich, wie vor den Kopf gestoßen. Was war hier los? Ich widersprach ihr. Sie entgegnete mir, dass es schön und gut sei, den Kontakt zu meinen Eltern abzubrechen, es würde aber nicht reichen. Ich müsste mich versöhnen!

    Ich war völlig überrumpelt und versuchte mich zu sammeln. Sie legte mir die Pistole auf die Brust. Ich müsse mich sofort entscheiden, wie es weitergehen soll.

    Nach einem kurzen Moment sagte ich ihr: „Ich werde nicht wiederkommen!“

    Und das war, so glaube ich, das letzte, womit sie gerechnet hatte. Sie begann zurückzurudern. Ja, die Veränderungen wären doch sichtbar, sie würde das nicht nur so sagen. Sie würde mir keineswegs nach dem Mund reden. Ich dachte mir meinen Teil. Für mich war die Therapie mit ihr einfach beendet.

    Sie erklärte mir noch, wie lange ich Zeit hätte, die restlichen von der Krankenkasse genehmigten Sitzungen, in Anspruch zu nehmen. Mir war klar, dass ich diese nicht mehr wahrnehmen würde. Wir verabschiedeten uns höflich.

    Die ganzen Zweifel, die sie in mir gelöst hatte, waren schon vor der Therapie in mir. Die hat sich nicht gesät. Sie hat mich dazu gebracht, mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ihre Vorgehensweise war sicherlich nicht richtig! Daran gibt es keine Zweifel.

    Ich bin sehr leidensfähig. Wie in diesem Fall habe ich die Situation so lange ausgehalten, bis es wirklich gar nicht mehr ging. Das ist kein guter Umgang mit mir selber. Für mich war es aber ein Weg, der mich dorthin gebracht hat, wo ich bin.

    Es wird aber Menschen geben, den dieser Weg nicht geholfen hätte. Er hätte ihnen schaden können. Im Rückblick würde ich sagen, dass es verantwortungslos von ihr war, mich so zu behandeln. Ich steckte in einer Krise. Es hätte anders ausgehen können.

    Aber ich versuche das Positive zu sehen. Heute geht es mir gut. Und ich versuche daraus zu lernen. Wenn ich wieder therapeutische Hilfe suchen würde, würde ich es anders machen!

  • Neuanfang!

    Ich habe meinen Mann über eine Freundin kennengelernt. Das muss im September oder Oktober 1997 gewesen sein. Wir sahen uns regelmäßig, immer in großer Runde. Silvester war ich zu einer Feier eingeladen. Wie ich später erfuhr, war er an der Einladung nicht unbeteiligt gewesen.

    Nach dem die Feier zu Ende war, brachte er mich nach Hause. Und es war das erst mal, dass wir uns wirklich unterhielten. Im Februar waren wir zusammen mit einem anderen Paar verabredet. Beim Abschied gaben wir uns einen flüchtigen Kuss. Bei jeder Treppenstufe, die ich zur Wohnung nahm, ging mir das Wort „Scheiße!“ durch den Kopf. „Scheiße, dass kann ernst werden!“ Ich wusste, dass er ein Guter ist. Ein Mann fürs Leben.

    Ich hatte Menschen immer auf Abstand gehalten. Jahrelang war ich in einen Mann verliebt, der verheiratet und mehr als doppelt so alt war wie ich. An dem Tag als ich erfuhr, dass er sich von seiner Frau getrennt hatte, habe ich nie wieder mit ihm gesprochen. Mir war klar, dass die Trennung nichts mit mir zu tun hatte und es niemals eine Beziehung zwischen uns geben würde, aber durch die Trennung wurde es zumindest denkbar. Und da war ich raus. Was nützt die Liebe im Gedanken? Nichts würde ich sagen, aber sie schützte mich vor Enttäuschungen.

    Und jetzt stand ich da und war hin- und hergerissen. Ich wollte ihn auf keinen Fall verletzen, aber der Gedanke, die Liebe zu zulassen, machte mir Angst. Es war eine schwierige Zeit, ich spürte meine innere Zerrissenheit deutlich. Es schmerzte mich. War ich es wert von ihm geliebt zu werden? Liebe? Wie geht das überhaupt? Ich warf alles in die Waagschale und seit diesem Tag gab es keine Zweifel mehr.

    Wir waren ein Paar. Er wohnte noch bei seinen Eltern und ich war, wann immer möglich, bei ihm. Es ist erstaunlich, wie gut ich seinen Eltern aus dem Weg gehen konnte. Obwohl ich fast immer bei ihm war, haben seine Eltern mich so gut wie nie zu Gesicht bekommen. Ich habe mich in seinem Zimmer versteckt und ich war einfach glücklich.

    Die ersten Monate waren für ihn nicht immer einfach. Ich hatte Gefühle, die ich vorher nicht kannte. Wegen Kleinigkeiten war ich komplett eingeschnappt. Ich sprach stundenlang kein Wort mit ihm und wusste selbst nicht warum. Mit der Zeit wurde es besser und ich bin unendlich dankbar für seine Geduld.

    Nach einem 3/4 Jahr suchte er sich eine Wohnung für sich, aber seit dem ersten Tag wohnte auch ich dort. An einem Nachmittag brachte mir meine Schwester meine Sachen.

    Meine Eltern beklagten sich darüber, dass ich mich nicht mehr melden würde.

    Es hat weitere 17 Jahre gedauert, bis ich den Kontakt zu meinen Eltern abbrach. Der erste Tag unserer Beziehung, war der letzte Tag für meine Beziehung zu meinen Eltern. Damals ahnte ich das nicht.

    Mein Mann hat mich gerettet. Er hat mir gezeigt, was Liebe ist. Durch ihn lernte ich, was Vertrauen bedeutet. Mein Mann hat mir das Leben gerettet.

    Ich liebe dich!

  • Augen auf bei der Therapeuten-Wahl!

    „Sie rationalisieren! Wenn Sie Ihre Erlebnisse schildern, klingt es wie eine Berichterstattung. Als würde ich einen Artikel in einer Zeitung lesen. Sie sind meine einzige Patientin, die so sehr rationalisiert.“

    Obwohl ich sehr leistungsorientiert bin, hatte auch ich verstanden, dass dies nicht als Lob gemeint war. Aber was wollte sie mir damit sagen? Vielleicht war es ein entscheidender Fehler zu Beginn der Therapie zu sagen, dass ich mir wünschte emotionaler zu sein. Wahrscheinlich hätte es den Verlauf der Therapie auch gut getan, ihr zu sagen, dass ich mit der Zeit zu dem Gedanken gekommen war, nicht mehr daran zu arbeiten mich zu verändern, sondern mich so anzunehmen, wie ich bin. Auch wenn das bedeuten sollte, dass ich ein rationaler Mensch bin. Fuck the heck! Was soll damit nicht richtig sein?

    Die ersten Stunden hatte ich das Gefühl, dass sie, obwohl sie so ganz anders war als ich oder gerade deswegen, die richtige Therapeutin für mich wäre. Zu Beginn ging es mir nach den Sitzungen sehr schlecht, aber ich hatte gearbeitet, ich hatte einen Schritt getan. Innerlich sträubte sich bei dem Gedanken an den nächsten Termin alles in mir. Ich wollte nicht hingehen, tat es trotzdem. Immer die Schuhe ausziehen, beide Füße am Boden, Kontakt mit Mutter Erde. Ich ließ mich darauf ein. Ich gab ein Stück Kontrolle aus der Hand und versuchte die Dinge nicht zu hinterfragen, nicht zu zerdenken, wie sonst.

    Aber mit der Zeit wurde mein innerer Widerstand größer. Ich wollte es mir noch nicht eingestehen und nahm die Termine weiter wahr. Ich wusste nicht mehr, was ich erzählen sollte. Also begann ich von den Schulproblemen meines Sohnes zu erzählen. Eine Sitzung, zwei Sitzungen, drei Sitzungen. Zum Schluss erzählte ich ihr dann sogar von den Gesprächen mit dem Schulpsychologen. Auch schön der Psychologin vom Psychologen zu erzählen. Und immer, wenn mir die Worte ausgingen, redete sie von Pferden. Wie sie die Pferde behandelt. Wie sie die Pferde reitet. Wie sie sich mit der Reitlehrerin unterhält. Wie man das Vertrauen, der Pferde gewinnen kann. Oder besser gesagt, wie sie das Vertrauen der Pferde gewinnen kann.

    Pferde? Ich mag Pferde überhaupt nicht! Ich habe mir währenddessen überlegt, was sie mir mit der Pferde-Metapher sagen will. Bin ich das Pferd und sie die Reiterin? Oder bin ich die Reiterin und mein Leben das Pferd? Vielleicht wusste sie selbst auch nicht mehr, was sie sagen soll. Keine Ahnung, warum ich sie nicht einfach gefragt habe. Aber es führte dazu, dass ich zweifelte. War sie die richtige Therapeutin für mich? Ich erzählte seit Wochen von Schulproblemen und Elternabenden und sie schilderte ihre Erlebnisse aus dem Reitstahl. Das Ende war bereits in Sicht. Und wenn ich mal in diese Richtung geschaut hätte, hätte ich es auch sehen können!

    Ich würde mir bei der Auswahl eines Therapeuten beim nächsten Mal wesentlich mehr Zeit nehmen und stärker auf mein Bauchgefühl hören. Mein Hausarzt hatte mir gesagt, dass er mir im Bedarfsfall so viele Verordnungen ausstellen würde, wie ich benötigen würde, um den richtigen zu finden.

    Ich kann aber sagen, dass die Therapie Dinge angestoßen hat. Am Anfang sind sehr viele Steine ins Rollen gekommen. Die Sitzungen waren für mich eher eine Art Erinnerung daran weiterzuarbeiten, und zwar nicht während dieser, sondern während meines Lebens!

  • Einmal Opfer, immer Opfer? Nein!

    „Einmal Opfer, immer Opfer!“ Das sagte meine Schwester am Telefon.

    Zu Beginn meiner Therapie dachte ich, ich müsse mich an alles erinnern können. Meine Therapeutin unterstütze das. In der zweiten Sitzung begann sie mir Körperübungen zu erklären, die mich zu meinen Erinnerungen zurückführen sollten. Ich habe mich wirklich bemüht ihren Anweisungen zu folgen. Ich dachte, dass ich nichts zu verlieren habe, wenn ich etwas versuche, was so gar nicht mir entspricht. Die ganze Sache sollte mir ja keinen Spaß bereiten, sondern mein Trauma heilen. Aber so sehr ich auch „turnte“, es tat sich nichts.

    Ich fragte meine Schwester nach ihren Erinnerungen. Per SMS. War es selbstsüchtig sie das zu fragen? Ja. Würde ich es wieder tun? Nein. Ich dachte, ihre Gedanken zu hören, würde mir den Zugang zu dem geben, was im Verborgenen lag.
    Sie war nicht bereit zu sprechen. Ich habe das verstanden und respektiert.

    Die Therapie schritt weiter und es gab keine Fortschritte in Hinsicht auf meine Erinnerungen. Ich merkte, dass die Therpeutin nicht locker lassen wollte.

    Ich kann heute mit Überzeugung sagen, dass sie für mich nicht die richtige Therapeutin war, aber nichtsdestotrotz hat sie in mir viele Prozesse angestoßen. Gerade dadurch, dass sie in fast allen Punkten eine andere Meinung als ich hatte. Oder es vorgab. Vielleicht war das ihre Strategie, um mich aus der Reserve zu locken? Ich weiß es nicht.

    Ich kam zu dem Punkt, an dem ich mich entschied, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Wenn meine innere Blockade so stark war, wollte ich nicht weiter dagegen ankämpfen.

    Eines Abends meldete sich meine Schwester per Telefon. Sie weinte. Sie wollte mit mir doch über alles sprechen. Ich war überfordert. Jetzt, wo sie dazu bereit war, hatte ich das Thema Erinnerungen abgeschlossen. Ich wollte das nicht hören, weil es für mich keine Bedeutung mehr hatte. Ich hatte für mich entschieden, nach vorne zu schauen. Natürlich mit dem Bewusstsein darüber, was geschehen war, aber mit der Entschlossenheit, dass es nicht mein Leben bestimmen soll.

    Sie quälte das schlechte Gewissen, dass sie mich nicht beschützt hatte. Ich war wie im Taumel. Nicht beschützt? Ich sagte ihr, dass sie selber Opfer war, dass sie zu klein war, um mich zu beschützen.

    „Einmal Opfer, immer Opfer!“ erwiderte sie.

    In diesem Moment war mir klar, dass wir uns nicht gegenseitig helfen können.

  • You have no power over me!

    Ich bin kein nachtragender Mensch. Alles was passiert ist, hat mich dorthin gebracht, wo ich bin. Und ich bin zufrieden. Ich habe ein gutes Leben.

    Es gibt Dinge, die nicht hätten passieren dürfen, aber trotzdem kann ich glücklich sein. Den einen Tag mehr, den anderen weniger. Ich glaube nicht, dass Sätze wie „Jeder hat sein Leben selber in der Hand.“ uneingeschränkte Gültigkeit haben. Denn in solchen Sätzen schwingt der Vorwurf mit, dass diejenigen die unglücklich sind, dafür alleine verantwortlich sind.

    Es ist der pure Hohn, Opfern zu sagen, dass sie die Verantwortung tragen. Ich weiß nicht, wovon es abhängt, dass der eine mit seinem Leben zurecht kommt und der andere unter der Last zusammenbricht.

    Ich habe einen Weg gefunden und ich kann entscheiden, wer mich auf diesem Weg begleitet. Meine Eltern, meine Schwestern, mein Bruder gehen einen anderen Weg. Es tut so gut zu wissen, dass sie keine Macht über mich haben!

  • Ist doch nicht so schlimm!

    Dadurch dass meine Eltern nichts unternommen haben, hat sich bei mir der Gedanke festgesetzt, dass es nicht so schlimm ist, vom eigenen Bruder missbraucht zu werden. Es ist passiert und es lässt sich nicht ändern. Ach, so schlimm ist das doch gar nicht!

    Vor rund zwanzig Jahren gab es eine Kampagne für die Nummer gegen Kummer und ich habe oft darüber nachgedacht, dort anzurufen. Ich weiß nicht, was mich schlussendlich davon abgehalten hat, aber egal was es war, es war einfach falsch zu schweigen! Schweigen ist keine Lösung. Es ist verlockend, so zu tun als wäre nichts geschehen, sich einzureden, dass es alles in Ordnung ist.

    Natürlich habe ich mir wie meine Eltern gewünscht, dass wir eine glückliche Familie sind! Und um diese Illusion aufrechtzuerhalten, war ich bereit eine Rolle zu spielen. Jahre lang nicht ich sein. Ich habe keine Erinnerungen daran, wie es sich als Kleinkind angefühlt hat, mit meinem Bruder am Frühstückstisch zu sitzen, mit ihm zu spielen, mit ihm all das zu teilen, was zum Familienalltag gehört, aber ich könnte bei dem Gedanken daran kotzen!

    Meine Eltern haben mich zur Täterin gemacht. So lange ich geschwiegen habe, war alles in Ordnung. Durch den Versuch darüber zu sprechen, habe ich den Traum der glücklichen Familie attackiert. Den Kampf darum, dass meine Eltern mich als Opfer wahrnehmen, habe ich aufgegeben. Für was auch? Um wieder in die alte Rolle der angepassten Tochter zu schlüpfen? Nein, danke!

    Ich habe schmerzlich begriffen, dass es die Familie und die Eltern, die ich mir immer gewünscht habe, nicht gibt und nie geben wird. Meine Eltern werden nie ihre Illusion aufgeben, dass wir die Perfekte Familie sein können.

    Vor einigen Tagen schrieb mein Vater eine E-Mail und fragte, ob wir gemeinsam in Urlaub fahren. What the fuck? In Urlaub fahren? Wir? Weiter schrieb er: Unsere Angebot gilt nach wie vor, aber ein Mindestmaß an höflichen Umgang miteinander ist eine unbedingte Voraussetzung.

    Ich kann gar nicht sagen, was daran alles falsch ist. Ich habe meinen Eltern sehr deutlich gesagt, dass ich keinen Kontakt mit ihnen haben will. Und jetzt möchten sie mit uns in Urlaub fahren? Und Bedingung ist ein Mindestmaß an Höflichkeit? Mir wird schlecht!

    Das zeigt mir so klar, dass meine Eltern mich nie verstehen werden.

  • Das Leben ändern.

    Im Sommer 2013 hatte ich das Gefühl, ich würde jeden Moment explodieren. Hätte ich mich jemand auf der Straße blöd angequatscht, hätte ich dies dankend zum Anlass genommen, meiner Wut freien Lauf zu lassen. Nein, ich hätte es nicht getan, aber der Gedanke war verlockend.

    Was war passiert? Alles begann mir über den Kopf zu wachsen. Vor allen Dingen quälten mich die Ansprüche, die ich an mich stellte. Kontrolle bewahren, keine Niederlagen eingestehen, immer funktionieren. Das alles begleitet von ununterbrochener Grübelei.
    Mir wurde klar, dass es so nicht weitergehen kann. Ich vereinbarte einen Termin bei meinem Hausarzt.

    “Mein Bruder hat mich und meine Schwester im Kleinkindalter sexuell missbraucht.“

    Betretenes Schweigen.

    “Wissen Ihre Eltern davon?”
    “Wo wohnt Ihr Bruder?”
    “Wurde es strafrechtlich verfolgt?”

    Der Arzt empfahl eine Gesprächstherapie und ließ mich mit dem Hinweis gehen, ich solle bitte nicht nach der Diagnose auf der AU googeln. Posttraumatische Belastungsstörung.

    Needless to say: Ich habe mich im Internet informiert.

    Eine Woche später hatte ich das verordnete Erstgespräch. Bei einer Frauenärztin, die eine Weiterbildungen im Bereich Psychotherapie und Homöopathie absolviert hatte. Die Auswahl an Therapeuten war sehr begrenzt.

    Den Psychologen, den ich zuerst angerufen hatte, machte bei mir keinen guten Eindruck. Er meldete sich am Telefon und ich sagte: “Guten Tag! Hier spricht Frau Needlesstosay.” Seine Antwort:

    “Ich kann Sie nicht verstehen.”

    Und ich im Gedanken: „Was?“

    Ich rufe einen Gesprächstherapeuten an und der erste Satz, den er zu mir sagt, lautet
    “Ich kann Sie nicht verstehen.”? Ich legte auf. (Wie sich später herausstellte, hatte mein Vater einige Jahre zuvor bei ihm therapeutische Hilfe gesucht und gefunden.)

    Aber zurück zu der Frauenärztin mit absolvierter Weiterbildung im Bereich Psychotherapie und Homöopathie. Das hätte mich wirklich stutzig machen können. Sie begrüßte mich herzlich, bat mich die Schuhe auszuziehen und mich so zu setzen, dass beide Füße Kontakt zur Mutter Erde haben. Denn die Mutter Erde würde mir immer Halt geben. Zu diesem Zeitpunkt war ich einfach dankbar eine Therapeutin gefunden zu haben und versuchte mich darauf einzulassen. Ich brauchte Veränderungen in meinem Leben und warum dafür nicht in Kontakt mit Mutter Erde treten?