Mit der Zeit fühlte ich mich von meiner Therapeutin unter Druck gesetzt. Von Beginn an empfahl sie mir meine verdrängten Erinnerungen wieder ans Licht zu holen. Wie eine Art Kiste, die ich öffnete, um die Dinge darin zu betrachten. Sie sagte, dass ich die Kiste dann wieder schließen könnte, wenn ich wollte. Es wäre aber sehr wichtig sie zu öffnen. Danach wäre ich befreit.
In den 10 Monaten der Therapie waren Zweifel meine ständigen Begleiter. Kann ich denn glücklich sein, wenn ich die Kiste nicht öffne? Darf ich überhaupt glücklich sein? Diese Zweifel zwangen mich, mich mit Fragen auseinanderzusetzen, die ich sonst nicht zuließ. Ich begann Bücher zu lesen und suchte nach anderen Wegen. Meine Therapeutin erzählte ich währenddessen von den Schulproblemen meines Sohnes. Sie erzählte von Pferden.
Ich spürte, dass sie es für den einzigen und richtigen Weg hielt, mein Trauma aufzuarbeiten und mich mit meinen Eltern zu versöhnen. Aber wollte ich das?
In meinem Leben traten viele Veränderungen ein. Kleine und auch große. Ich besuchte einen wöchentlichen Kurs zur Progressiven Muskelentspannung. In einer Gruppe. Ich denke, dass das für viele kein Problem darstellt mit anderen fremden Menschen in einem Raum auf Matten zu liegen und zu entspannen. Für mich war es ein riesen Ding. Es hat mich viel Überwindung gekostet.
Ich kündigte meinen Job. Ich brach den Kontakt zu meiner Schwester ab. Ich schrieb mich für ein Studium ein. Die Veränderungen taten mir gut!
Ich meldete mich zu einem eintägigen Seminar zum Thema Dynamische Muskelentspannung ein. Ich hatte mir einige Wochen zuvor ein Buch zu dem Thema gekauft und hatte dann zufällig gesehen, dass der Autor diesen Kurs über die VHS anbot. Mich zu einem VHS-Kurs anzumelden, war für mich wieder ein großer Schritt. Fremde Menschen in einem Gebäude, in dem ich zuvor niemals gewesen war. Ich bei einem VHS-Kurs? Womöglich nur mit Frauen! Schreckliche Vorstellung. Und in der Tat war es so, dass alle meine Vorurteile bestätigt wurden, aber es war ein wirklich guter Tag!
Der Referent sagte für mich entscheidende Schlüsselsätze. „Was in der Vergangenheit passiert ist, kannst du nicht verändern. Was zählt, ist heute. Ein Trauma muss nicht aufgearbeitet werden, wenn du dich gut fühlst. Vielleicht kommt der Tag, an dem du es bearbeiten willst. Oder er kommt nicht. Es zählt nur, wie du dich fühlst.“
Das ist natürlich keine neue Erkenntnis, aber es tat mir so gut, es zu hören. Nachdem Seminar war ich erleichtert. Es nahm mir einen Teil meiner Zweifel. Wenn ich mich glücklich fühle, dann bin ich glücklich.
Zwei Tage später hatte ich eine Sitzung. Ich erzählte meiner Therapeutin voller Begeisterung von dem Kurs und wie gut er mir getan hatte. Ihre Begeisterung hielt sich unterdessen in Grenzen. Sie war aufgebracht und forderte mich auf ihr zu zeigen, welche Entspannungsübungen wir gemacht hatten. Ich weigerte mich. Sie geriet in Rage. Sie warf mir vor, dass die Veränderungen in meinem Leben nicht genug wären. Ich fühlte mich, wie vor den Kopf gestoßen. Was war hier los? Ich widersprach ihr. Sie entgegnete mir, dass es schön und gut sei, den Kontakt zu meinen Eltern abzubrechen, es würde aber nicht reichen. Ich müsste mich versöhnen!
Ich war völlig überrumpelt und versuchte mich zu sammeln. Sie legte mir die Pistole auf die Brust. Ich müsse mich sofort entscheiden, wie es weitergehen soll.
Nach einem kurzen Moment sagte ich ihr: „Ich werde nicht wiederkommen!“
Und das war, so glaube ich, das letzte, womit sie gerechnet hatte. Sie begann zurückzurudern. Ja, die Veränderungen wären doch sichtbar, sie würde das nicht nur so sagen. Sie würde mir keineswegs nach dem Mund reden. Ich dachte mir meinen Teil. Für mich war die Therapie mit ihr einfach beendet.
Sie erklärte mir noch, wie lange ich Zeit hätte, die restlichen von der Krankenkasse genehmigten Sitzungen, in Anspruch zu nehmen. Mir war klar, dass ich diese nicht mehr wahrnehmen würde. Wir verabschiedeten uns höflich.
Die ganzen Zweifel, die sie in mir gelöst hatte, waren schon vor der Therapie in mir. Die hat sich nicht gesät. Sie hat mich dazu gebracht, mich mit ihnen auseinanderzusetzen. Ihre Vorgehensweise war sicherlich nicht richtig! Daran gibt es keine Zweifel.
Ich bin sehr leidensfähig. Wie in diesem Fall habe ich die Situation so lange ausgehalten, bis es wirklich gar nicht mehr ging. Das ist kein guter Umgang mit mir selber. Für mich war es aber ein Weg, der mich dorthin gebracht hat, wo ich bin.
Es wird aber Menschen geben, den dieser Weg nicht geholfen hätte. Er hätte ihnen schaden können. Im Rückblick würde ich sagen, dass es verantwortungslos von ihr war, mich so zu behandeln. Ich steckte in einer Krise. Es hätte anders ausgehen können.
Aber ich versuche das Positive zu sehen. Heute geht es mir gut. Und ich versuche daraus zu lernen. Wenn ich wieder therapeutische Hilfe suchen würde, würde ich es anders machen!
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