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  • Nutzlos!

    Needless to say! Eine wortwörtliche Übersetzung würde lauten: Nutzlos es zu sagen! Die sinngemäße Übersetzung heißt schlicht und einfach ’natürlich‘. Wenn ich also sagen würde „Draußen regnet es. Die Straße wird nass.“ Könnte ein Kommentar dazu sein: „Needless to say!“. Denn selbstverständlich wird die Straße bei Regen nass, es ist unnötig es zu sagen. Jeder weiß das.

    Für mich ist es aber eine Art Sinnbegriff für die Kommunikation mit meinen Eltern. Es ist nutzlos mit ihnen zu sprechen. Ich habe sehr schnell verstanden, dass meine Eltern nicht damit umgehen können, dass ich von meinem Bruder missbraucht wurde. Sie wünschen sich so sehr, dass ihre Familie zusammenhält, dass sie nicht bereit sind diesen Wunsch aufzugeben. Und das ist ein Scheideweg. Sie können nicht an ihrem Traum der glücklichen Familie festhalten und gleichzeitig akzeptieren, was passiert ist. Sie haben eine Entscheidung getroffen, sie beharren darauf, dass ihre Familie eine glückliche Familie ist. Und das heißt folglich auch, dass ich bitteschön still halten und still sein soll. Suck it up! Stell dich nicht so an!

    Es ist doch nicht zu viel verlangt, Geburtstage gemeinsam zu feiern. Ich könne mich ja in eine andere Ecke setzen. Zum 40. Hochzeitstag wirst du doch bereit sein mit der ganzen Familie einen gemeinsamen Urlaub zu verbringen. Also, bitte! Was ist los mit dir?

    Ich bin es einfach leid, immer wieder zu erklären, warum ich das nicht will. Wobei das auch wirklich jeder andere Mensch auf der Welt (außer natürlich meine Eltern) verstehen würde. Ich hatte immer die Hoffnung, dass sie es verstehen und um überhaupt einen Umgang mit mir zu ermöglichen, manche Themen nicht ansprechen. Inzwischen habe ich verstanden, dass es einfach vollkommen zwecklos ist.

    Und jetzt kommt meine Mutter mit dem super Vorschlag um die Ecke, wir könnten zu einen Mediator gehen. Ich weiß schon jetzt, wie das laufen würde. Meine Mutter würde dies als Plattform nutzen, um wieder und wieder von ihrem Leben und von all den schlimmen Dingen, die ihr passiert sind, zu erzählen. Denn egal, wann und über was ich mit meiner Mutter gesprochen habe, am Ende erzählt sie von sich. Ich kann es nicht mehr hören!

    Nein, ich gehe nicht mit euch zu einem Mediator. Es ist aus und vorbei! Adieu!

  • Bist du dir sicher, dass du das nicht geträumt hast?

    Welche Erwartungen hatte ich an meine Eltern, bevor ich ihnen das gesagt habe? Ich hatte es bereits einer Freundin erzählt, die damit vollkommen überfordert war. Sie schlug deshalb vor, dass ich es ihrer Mutter erzähle, die damit vollkommen überfordert war. Sie schlug aus diesem Grund vor, dass ich es meinen Eltern erzähle. Ich weiß nicht, was ich von meinen Eltern erwartet habe, aber mit Sicherheit habe ich nicht damit gerechnet, dass sie damit vollkommen überfordert sein werden.

    Mit 14 Jahren hatte ich vielleicht die Vorstellung, dass alles wieder gut sein wird, sobald ich es meinen Eltern erzählt habe. Ich habe sicherlich auf Trost gehofft, auf offene Arme, auf Verständnis. Ich sagte meinen Eltern, dass ich ihnen etwas erzählen muss, etwas von Bedeutung. Und so saßen wir eines Nachmittags zu dritt im Wohnzimmer und ich werde ich in einem ähnlichen Wortlaut gesagt haben:

    „Mama, Papa, mein Bruder hat mich missbraucht, als ich ein Kleinkind war.“

    Die Antwort meiner Mutter kam schnell und traf mich wie ein Vorschlaghammer.

    „Bist du dir sicher, dass du das nicht geträumt hast?“

    Ich kann mich nicht erinnern, wie meine Antwort lautete. Meine Erinnerung setzt dort ein, wo die Erzählung meiner Mutter darüber beginnt, dass ihr das als Kind auch widerfahren sei. Sie wurde von einem Nachbarn, der Böses im Schild führte, im Schrank eingesperrt. Ich habe bis jetzt nicht verstehen können, was das überhaupt mit mir zu tun hat.
    Meine Mutter fragte, ob ich psychologische Unterstützung benötige. Ich sagte, nein. Mein Vater sagte mir, dass Jungs in dem Alter so seien. Ich sagte nichts. Umarmung hier, Umarmung da. Gespräch beendet. Thema abgeschlossen.

    Die nächsten 16 Jahren sprachen wir nicht darüber. Alles ging weiter wie bevor, als hätte es das Gespräch nie gegeben. Meine Eltern müssen auf eine Art unfassbar dankbar dafür gewesen sein, dass ich mich darauf einließ. Ich bin nicht ausgeflippt. Ich habe nicht geschrien. Ich habe ihnen keine Vorwürfe gemacht. Ich bin jeden Tag in die Schule gegangen. Ich machte ihnen keinen Kummer und auch keine Sorgen. Ich bin sogar, wie es sich gehört, bei jedem Besuch bei meinem Bruder und seiner Familie dabei gewesen. Und wenn er zu Besuch war, war ich natürlich auch anwesend. Alles lief, wie es laufen soll, so wie es sich meine Eltern wünschten.

    Meine Eltern hatten beide, wie man so sagt, eine schwere Kindheit. Dementsprechend groß war ihr Wunsch alles besser zu machen. Der Wunsch meiner Mutter eine glückliche Familie zu haben, die in Harmonie lebt, war und ist übergroß. Alles was nicht in diese Vision passte, wurde an den Seiten radikal abgeschnitten. Dass die Tochter vom 9 Jahre älteren Sohn sexuell missbraucht wird, passt in keine Vision, die eine glückliche Familie enthält. Aber das ist niemals ein Grund dafür, dass meine Eltern komplett über mich und was passiert war hinweggingen, keinerlei Verantwortung übernahmen und mich im Stich ließen.

    Meine Eltern müssen von ihrem Wunsch nach der glücklichen Familie so getrieben gewesen sein, dass sie sich sehr bemühten, das Gespräch so schnell wie möglich zu vergessen. Wenn sie sich ernsthaft damit beschäftigt hätten, hätten sie wissen müssen, dass eine 14-jährige nicht allein entscheiden kann, ob sie psychologische oder Unterstützung anderer Art benötigt. Sie haben sich durch scheinbar tröstende Worte und eine Umarmung von jedweder Verantwortung frei gekauft.

    Danke für nichts, Mama und Papa!