Ach, was waren das für Zeiten, als ich noch alles gleichzeitig geschafft habe. Heute habe ich oft das Gefühl, gar nichts zu schaffen. Beide Aussagen sind natürlich Blödsinn.
Studieren, arbeiten, Sport treiben, Essen kochen, Freundschaften pflegen, schwanger sein, Mutter werden, weitermachen. Immer weitermachen. Keine Rücksicht (auf mich) nehmen, mich nicht so anstellen, sei kein Frosch.
Lange Zeit konnte ich mich zwingen, Dinge anzugehen. Wenn ich etwas nicht tun wollte, tat ich es trotzdem. Denn irgendjemand muss sie doch erledigen. Diese ganzen Dinge, die noch erledigt werden müssen.
Das erste Mal, als mir bewusst wurde, dass ich mich nicht mehr zwingen kann, war die Zeit, in der ich meine Bachelor-Arbeit schrieb. Schreiben mit Depression und Schreibblockade. Ich habe das irgendwie geschafft, aber ich würde das niemandem empfehlen. Eigene Gedanken zu formulieren (wenn die durch die Depression sehr ungünstig eingefärbt sind) und für alle (in meinen Gedanken) sichtbar auf Papier zu bringen, ist alles andere als ein Spaß.
Es ist eine Qual. Zu wissen, dass ich schreiben kann, zu wissen, dass es gute Gedanken sind, diese aber nicht rauszubekommen. Es ist eine sehr quälende Angelegenheit.
Das depressive Denken über Jahre ist zehrend. Für mich das allerschlimmste an der Depression. Jeden Tag aufzustehen, sich jeden Tag bewusst dafür zu entscheiden, aufzustehen. Trotzdem. Jeden Tag die Gedanken ausfechten. Das ist von Außen nicht sichtbar. Innerlich ein tosendes Chaos. Während ich wie ein Stein auf dem Sofa sitze und das Haus nicht verlassen kann, toben die Gedanken und saugen mir die Energie aus.
Jeder Gedanke wird durchgedacht, abgewogen. Selbstreflexion 24/7. Das ist alles sehr anstrengend. Wenn ich mich gedanklich durchgehend entwerte, niedermache und jeden Impuls kritisiere, und trotzdem immer dagegenhalte, versuche mich aufzubauen, mich zu motivieren, dann ist das sehr anstrengend. Ich habe nichts von meiner To-do-Liste erledigt und bin trotzdem schon durch für den Tag. Meine Energie geht dafür drauf, weiterzumachen.
Damals hat mich der Gedanke getröstet, dass alles vorbeigeht. Alles geht vorbei. Das ist meine Depression. Meine magere Vision: Es geht vorbei.
In den sozialen Medien schreiben alle „Thing big!“ und ich denke „Think small!“.
„Komm, den Tag schaffst du. Morgen sieht die Welt schon anders aus.“
Über Jahre. Der reine Pragmatismus. Das macht keinen Spaß. Ich weiß, dass ich objektiv betrachtet, ein gutes Leben habe. Es gibt für mich keinen Grund zu jammern. Objektiv betrachtet. Der Depression ist das egal, die versucht, alles zu zerstören. Die ist sehr fleißig, die weiß, wo es mir weh tut, wo sie ansetzen muss.
Ich weiß nicht, wie ich das formulieren soll. Die Depression ist in mir. Sie ist nicht willkommen, sie macht es sich trotzdem bequem. Sie ist sicher kein Teil von mir, aber sie kennt mich trotzdem ganz genau. Sie kennt meine Schwächen.
Und ich halte dagegen und bin erschöpft. Es ist gut, dagegenzuhalten. Für mich gab es keine andere Wahl. Und so sehr ich wünsche, dass ich nicht mehr in eine depressive Episode rutsche, so sehr weiß ich, dass ich wieder dagegenhalten werde. Auch mit Medikamenten, wenn es sein muss.
Ich weiß nicht, wer das schon erlebt hat? Ohne Zuversicht zu leben, ohne Hoffnung zu sein. So erschöpft zu sein, dass schon das Atmen schwer fällt.
Hoffnung
Ich hatte bereits häufiger depressive Episoden. Es geht tatsächlich immer weiter. Mit jeder Episode habe ich zwangsläufig neue Dinge gelernt. Was am Anfang unvorstellbar war, wird möglich. Der Gedanke, es nicht alleine zu schaffen, war zu Beginn ein Killer. Die Depression klatscht und jubelt und ich halte mich für den größten Loser der Welt. „Nicht einmal das schaffe ich.“
Das ganze Denken ist durch Selbstzerstörung geprägt. Es ist mir nicht (durchgehend) bewusst und ich fühle mich ausgeliefert. Zweifel werden in der Kindheit gesät und ein Leben lang geerntet. Um Hilfe bitten und annehmen, konnte ich nicht. Ich habe das in meiner Kindheit nicht gelernt. Hilfe zu brauchen, galt als Schwäche und jede Schwäche bot Angriffsfläche. Mein Selbstwert war so gering, der hätte keinem Angriff standgehalten.
Meine gelernte Strategie lautete: „Ich muss alles alleine schaffen!“ Zu begreifen, dass das nicht stimmt, hat Jahre gedauert. Glaubenssätze, die in der Kindheit gelernt (eingeprügelt) werden, die können nicht wie ein zu kleines Kleidungsstück abgestreift werden. Meine Glaubenssätze hatten mich im Griff. Ich konnte, was meine Depression betrifft, nicht anders handeln. Ich konnte es mir nicht einfacher machen, weil das allem widersprach, was ich so fleißig gelernt hatte.
Ich kann inzwischen, um Hilfe bitten und annehmen. Es fällt mir trotzdem sehr schwer. Ohne Hilfe hätte ich es nicht bis heute geschafft.
Hoffnung reloaded
Hoffnung ist die Kraft, die uns Menschen am Leben hält. Ich musste lange Zeit das Leben aushalten. Jeden Tag. Inzwischen spüre ich die Hoffnung wieder. Manchmal blicke ich zuversichtlich in die Zukunft. Dann spüre ich aber auch die Angst. Die Angst ist in meinem Leben auch ein großes Thema, aber nicht jetzt in diesem Text.
Ich frage mich oft, wie so ein Leben ist, indem nicht ständig Zweifel aufkommen. Es ist nicht mein Ziel, so ein Leben zu haben. Think small. Ein Schritt nach dem anderen.
Seit dem ich mich nicht mehr zwingen kann, kann ich nicht mehr mit Druck umgehen. Wenn ich zu groß denke, kommt der Druck und ich gebe auf. Ich versuche neue Strategien zu entwickeln. Ich bin auf dem Weg und mache kleine Schritte. Ich kann nicht mehr laufen oder überholen, ich gehe langsam und versuche geduldig mit mir zu sein.
Das ist auch kein Spaß, aber dieser Weg führt nicht in die Selbstzerstörung. Das ist doch schon mal was!
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