Bitte geben Sie mir Halt.

Lieber Herr Therapeut,

bitte geben Sie mir Halt, halten Sie an mir fest, bitte halten Sie mich fest. Bitte berühren Sie mich nicht. Bitte kommen Sie mir nicht zu nah.

Bitte fassen Sie mich an den Schultern, wenn ich den Kopf senke, zweifelnd, leidend und sagen mir, dass alles gut wird und dass Sie für mich da sind. Bitte sagen Sie mir, dass ich gut bin, dass ich so sein kann, wie ich bin. Aber sagen Sie es so leise, dass ich es nicht hören kann, sagen Sie es ohne Worte.

Bitte nehmen Sie mich in den Arm, bitte halten Sie mich aus, ich brauche so sehr Halt. Aber bitte bleiben Sie auf Ihrem Platz, bitte halten Sie Abstand.

Bitte glauben Sie mir, wie wichtig Sie für mich sind, und bitte lassen Sie mich glauben, dass es Ihnen wichtig ist, dass es mir gut geht. Aber bitte verschweigen Sie Ihre Gedanken, bitte schweigen Sie über Ihre Gefühle. Bitte seien Sie leise. Bitte seien Sie nur da.

Bitte halten Sie mein Herz, mein kleines Herz, bitte heilen Sie mein Herz. Bitte flicken Sie es, ganz sanft. Bitte geben Sie ihm Zeit, damit es heilt. Es ist verletzt, ich spüre die Stiche. Jede Ablehnung ein Stich, jedes Nicht-Gesehen-Werden ein Stich, jede Unsicherheit ein Stich. Es waren zu viele Stiche, zu große Schmerzen. Ich war so klein.

Warum hat meine Mutter mich nicht geliebt? Mein Herz ist so verletzlich, ich bin so verletzlich.

Warum hat sie mich so schlecht versorgt? Ich war nicht bereit für die Welt, ich konnte sie nicht aushalten, mit meinem kleinen Herz, so verletzt. Jede Enttäuschung ein Stich ins Herz. Bitte machen Sie mein Herz ganz.

Wie geht das Leben?

So klein war ich und die Enttäuschungen so groß. So klein war ich und die Täuschungen so groß, dass ich sie nicht durchschaute. Bitte täuschen Sie mich nicht, aber bitte sagen Sie mir, dass alles gut sein wird.

So klein war ich und die Schmerzen so groß. Unfassbar groß und niemand da, der mich umfasste, so sanft, so liebevoll, dass ich nicht fassen konnte, wie liebenswürdig ich war, wie schlau ich war, wie sehr ich mich danach sehnte, gesehen zu werden, nach Geborgenheit, nach Liebe, Sicherheit, Wärme, nach offenen, schützenden Armen.

Bitte schauen Sie mich an, wie ich bin, was ich kann, mit einem offenen und ehrlichen Blick, aber blicken Sie mir nicht in die Augen, sehen Sie mich an, wenn ich es nicht sehe. Ich kann Ihrem Blick nicht Stand halten. Ich schäme mich, dass ich gesehen werden will, und ich schäme mich, wenn Sie mich sehen.

Ich sehne mich danach, gesehen zu werden und mich darüber zu freuen. Über die Blicke, über mich, wie ich bin. Ich schäme mich für diese Sehnsucht, ich erlaube mir nicht, mich zu freuen. Scham.

Ich kann nicht fassen, dass ich wertvoll bin, dass ich ausreiche, wie ich bin, dass ich etwas tun kann, was gut ist, was gefällt. Ich kann es nicht glauben.

Ich möchte Ihnen gefallen und falle haltlos. Angst. Ich schäme mich dafür, dass ich mir wünsche, dass Sie mich mögen. Wer bin ich denn schon? So bedürftig, so kaputt.

Ich bin so klein, damit ich mich verkriechen kann, in mir drin, da verstecke ich mich und stecke fest. Bitte holen Sie mich raus, aber bitte kommen Sie nicht rein. Ich möchte nicht, dass Sie sehen, wie es hier aussieht, wie klein ich bin, so verloren, so unzulässig. Lassen Sie mich hier in Ruhe und bleiben Sie bei mir. Ich muss mich auf Sie verlassen können und kann es nicht zulassen.

Immer Angst, immer Scham.

Ich bin so zerrissen, bitte machen Sie mich ganz.


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