Das Seminar und ‚Das Röcheln der Mona Lisa.‘

Im Dezember habe ich ein Seminar zum Thema „Hörspiel“ besucht. Offen gesagt, ich interessiere mich inzwischen nicht mehr besonders für Hörspiele und höre sie nur noch regelmäßig, abends im Bett, um besser einzuschlafen (da meine Gedanken so schön wegdriften). Der Grund für die Teilnahme war, dass es von dem Prof geleitet wurde, bei dem ich im März eine mündliche Prüfung haben werde. Andernfalls hätte ich ihn erst am Tag der Prüfung persönlich kennengelernt.

Schon bei der Vorstellungsrunde merke ich sehr deutlich, dass ich die einzige bin, die das Seminar pragmatisch angeht. Die anderen Teilnehmer*innen sind dermaßen begeistert. Eine Teilnehmerin hat jahrelang ehrenamtlich im Bürgerfunk gearbeitet, eine andere hat tatsächlich eine Ausbildung zur Sprecherin absolviert, ein Teilnehmer brennt regelrecht für das Thema und erscheint mir als Experte in dem Gebiet. Als ich an der Reihe bin und den Grund meiner Teilnahme erklären soll, bleibe ich einfachhalber bei der Wahrheit und sage, dass ich den Seminarleiter vor der Prüfung persönlich kennenlernen wollte und ich erzähle, wie meine Kinder reagiert haben, als ich mit ihnen gemeinsam „Das Röcheln der Mona Lisa“ zur Seminarvorbereitung gehört habe. (Unbedingt reinhören, es lohnt sich!)

Das Seminar verläuft in gewohnten Bahnen. Wie fast immer gibt es auch den allwissenden Spezialisten bzw. die allwissende Spezialistin unter den Teilnehmer*innen. Ich kann ihre Wortmeldungen nur mit einem inneren Augenrollen quittieren, inhaltlich ist das, was sie sagt, durchaus interessant, aber diese Art und Weise. In der Kaffeepause gerate ich mit ihr ein wenig aneinander und ich wundere mich darüber, wie sehr mich jemand aufregen kann, den ich eigentlich gar nicht kenne. Ich nehme mir vor an den beiden folgenden Tagen nicht mehr mit ihr zu reden. Es ist für uns beide besser so.
Am Ende des zweiten Seminartages wird das Hörspiel vorgestellt, das wir am nächsten Tag gemeinsam aufnehmen werden. Die Sprechrollen sollen anschließend verteilt werden. Die allwissende Spezialistin beginnt zu kokettieren, alles sehr dramatisch. „Nein, ich werde keine Rolle übernehmen. Nein, meine Stimme ist komplett ungeeignet. Nein, ich nicht.“ Usw. usw. Ich will nicht mehr. Wir haben bereits überzogen und ich bin nur von ihr nur noch genervt. Ich melde mich zu Wort und frage in die Runde, ob wir die Rollen nicht einfach auslosen sollen. Der Vorschlag wird angenommen. Ich ziehe „Stimme 3“. Wir lesen das Manuskript zwei Mal mit verteilten Rollen und schon zu diesem Zeitpunkt hätte das auffallen können, was erst am nächsten Tag ausgesprochen wird.

Am dritten Seminartag treffen wir uns im Tonstudio, das nicht dem aktuellen Stand der Technik entspricht. Es soll im nächsten Monat modernisiert werden, was wirklich überfällig ist. Mich erinnert das an die Zeiten, in denen ich mit meiner Schwester Zuhause mit dem Kassettenrekorder Radiobeiträge aufgenommen habe, vor über 30 Jahren. Wir haben sehr viel gelacht und das mache ich auch an diesem Tag im Tonstudio. Es macht sehr viel Spaß gemeinsam mit den anderen hier zu sein und die Sätze einzusprechen. Zwei Tage zuvor kannten wir uns gar nicht und jetzt fühlen wir den „Gemeinschaftsspirit“, der zwischen uns entsteht. Ich finde es aufregend und habe das Gefühl, dass ich das fürs erste Mal richtig gut mache.

Dann fällt es auf. Eine Teilnehmerin hat keine Rolle. Sie hatte sich am Vortag nicht gemeldet. Sie winkt ab. „Nein, alles gut. Ich brauche keine eigene Sprechrolle.“ Aber wir anderen sind der Meinung, dass sie natürlich auch einen Teil übernehmen soll. Es wird kurz überlegt, was gemacht werden kann. Der Aufnahmeleiter entscheidet. „Sie übernehmen die Stimme 3.“

„Ach, das bin ja ich!“, geht mir durch den Kopf. Ich versuche mich mit dem Gedanken zu trösten, dass ganz bestimmt wenigstens einen Satz, den ich eingesprochen habe, im fertigen Hörspiel zu hören sein wird. Denn die Teilnehmerin, die nun ein zweites Mal „meine“ Sätze einspricht, ist die oben genannte, die eine Ausbildung zur Sprecherin gemacht hat. Und ja, sie macht das wirklich ganz hervorragend, ja, sie macht das wirklich wesentlich besser als ich.

Ich fühle mich richtig mies. Hätte ich nicht vorgeschlagen, die Rollen auszulosen, hätten wir darüber diskutiert und es wäre sehr schnell klar gewesen, dass eine Rolle fehlt. (Ja, klar, hätte der Seminarleiter die Teilnehmer*innen richtig gezählt, wäre das ganze überhaupt nicht passiert.) Ich fühle mich immer noch mies.

An Weiberfastnacht kriegen wir den Link zum fertigen Hörspiel per Mail zugeschickt. Und obwohl ich es schon wissen könnte, trifft es mich viel mehr, als es sollte oder als ich es für möglich gehalten habe – kein Satz, den ich eingesprochen habe, ist zu hören. Es ist das eine nicht ins Team gewählt zu werden, aber es ist für mich so enttäuschend, so bitter in einem Team gewesen zu sein und dann… weg… gelöscht… (Ich stelle mir ein Gruppenfoto vor, von dem ich wegretuschiert wurde. )

Es gibt viele Dinge, die ich in der Vergangenheit vermieden habe, um Enttäuschungen aus dem Weg zu gehen. Ich hätte mich beispielwiese nicht zu einem Seminar angemeldet, bei dem ein Hörspiel produziert wird. Jetzt frage ich mich, wie kann ich mit dieser Enttäuschung umgehen. Ich bin nicht bereit, in Zukunft wieder auf etwas zu verzichten, aber was mache ich jetzt?

Ich ringe mich dazu durch eine E-Mail zu schreiben. Ich will, dass der Aufnahmeleiter von meinem Gefühl der Enttäuschung weiß. Ich schreibe ihm also davon, ohne Vorwürfe zu formulieren, ohne Ironie oder ähnliches. Und er antwortet mir tatsächlich. Ich bin aber immer noch enttäuscht, stecke so sehr darin fest, dass ich seine Antwort so interpretiere, dass ich eben zu schlecht war, dass es schon okay war, meine Aufnahmen zu löschen. Er schreibt, dass es mich damit trösten soll, in den Credits namentlich genannt zu werden.

Nein, das tröstet mich gar nicht, das macht es gerade nur noch schlimmer. Ich war zu schlecht, um es ins Hörspiel zu schaffen, werde aber genannt. Toll. Ich merke, dass mich das zu sehr mitnimmt und mir wird klar, dass ich gar nicht weiß, wie ich mit Enttäuschung umgehen soll, mir fehlt die Erfahrung.

Rational ist mir das klar, aber emotional bin ich noch meilenweit von einer Lösung entfernt. Das wird sich ändern, das weiß ich auch, aber so fühlt es sich nicht an.


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