Autor: jenniferheart

  • Verbindungen – Auch Felsen haben eine Belastungsgrenze

    Im Dezember 1998 verreiste ich mit meinen Eltern und meiner Schwester nach Gozo (die Nachbarinsel von Malta). Das war zu einer Zeit, zu der ich zu meinen Eltern nicht „Nein.“ sagen konnte. Obwohl ich mich nicht erinnern kann, muss es folgendermaßen gewesen sein (weil es eigentlich immer so war). Mein Vater entwickelt eine Idee, die ihn total begeistert, erzählt sie mir erwartungsvoll und ich schaffe es nicht „Nein!“ zu sagen. Meine Eltern lieben es zu reisen und sie lieben es, gut zu essen und davon anschließend sehr ausschweifend zu erzählen. Ich mag das gar nicht, habe das aber nie gesagt.

    So begab es sich also zu der Zeit, dass wir gemeinsam mit Malta Air nach Malta flogen. Von Malta flogen wir per Helikopter nach Gozo. (Der Flug war schrecklich für mich!) Ich war 20 Jahre alt, meine Schwester 23 Jahre. Ich frage mich, warum sie uns überhaupt mitnehmen wollten. Ja, ok, sie dachten, dass ich gerne mitfahre, aber meine Eltern waren 50 Jahre alt. Hätten sie nicht einfach alleine verreisen können? Jedenfalls war vor fast 20 Jahren auf Gozo zwischen den Feiertagen absolute tote Hose und es war sehr, sehr kalt. In meiner Traumvorstellung ist es auch im Winter auf einer Mittelmeerinsel warm… ja, ja, hätte ich auch wissen können, dass das nicht so ist… Es war aber bestimmt ein besonders kalter Winter auf Gozo oder die Stimmung war einfach frostig…

    Und es war einfach nur langweilig! Ich war seit knapp 9 Monaten mit meinem Mann zusammen und ich vermisste ihn schrecklich. Langeweile und Herzschmerz. Und Urlaub mit den Eltern. Es war wirklich schon alles schlimm, aber meine Eltern haben ja noch eine weitere Leidenschaft: ausgedehnte Spaziergänge, es wurde also schlimmer. Sie schlugen vor, dass wir zum Felsentor „Azure Window“ spazieren könnten. Ich stellte mir also eine entspannten Spaziergang zum Felsentor vor und wir gingen los. Und wir gingen und gingen und gingen. Ich muss offen gestehen, dass ich für Naturschauspiele wirklich keinerlei Leidenschaft entwickeln kann. Da passiert bei mir nix, es gibt Menschen, die behaupten, ich wäre nicht begeisterungsfähig. Das stimmt aber gar nicht, ich begeistere mich für andere Dinge. Also, kurz gesagt: ein Felsentor ist für mich so beeindruckend wie ein Gartentor. Inzwischen gingen wir nicht mehr, wir irrten durch die Gegend und wir froren. In meiner Erinnerung stundenlang. Es entwickelte sich zu einem typischen Familienspaziergang. Die Eltern genießen die Natur und die Kinder sind maulig, mit dem Unterschied dass die mauligen Kinder normalerweise nicht bereits volljährig sind.

    Die Stimmung war absolut am Tiefpunkt (bei den unter 50-jährigen) und auch der Anblick des Felsentors konnte daran nichts ändern. „Oh, toll. Steine. Toll. Die kann ich mir auch Zuhause angucken.“ Meine Eltern waren im Gegensatz dazu absolut begeistert und haben sich alles ganz genau angeschaut, sehr lange.

    Meine Eltern haben keinerlei Antennen für die Stimmung anderer, das ist tatsächlich so. Wenn es mir also immer schwer fiel, meinen Eltern zu sagen, wie es mir geht, musste ich an diesem Tag wirklich kein Wort sagen, damit sie hätten sehen können, dass ich komplett abgefuckt war. Meiner Schwester ging es ähnlich. Sie waren wahrscheinlich so berauscht von diesem Naturspektakel, dass sie ernsthaft sagten, dass wir jetzt zurückgehen könnten. Gehen! Zu Fuß!!!! Ich habe mich das sehr oft gefragt, aber dort am Felsentor besonders eindrücklich: „Was stimmt mit meinen Eltern nicht?“

    Ich weiß nicht mehr, was wir gesagt haben, aber meinen Eltern wurde klar, dass wir nicht den ganzen Weg zurückgehen werden. Wir sind in den nächsten Ort gegangen, wo wir etwas gegessen haben, und mein Vater es schaffte, jemanden aufzutreiben, der bereit war uns zurückzufahren. (Ich weiß, dass es kein Taxifahrer war, leider habe ich die Details vergessen.)

    Danach bin ich nicht mehr „alleine“ mit meinen Eltern in Urlaub gefahren, ich habe meinen Mann mitgenommen. Geteiltes Leid ist halbes Leid. Aber trotzdem war es jedes Mal wahnsinnig anstrengend mit meinen Eltern zu verreisen und es ist für mich heute erstaunlich, dass ich das so oft gemacht habe.

    Ich hätte es schön gefunden, mit meinen Eltern ins Kino zu gehen, denn das war etwas, was wir alle gerne gemacht haben.

    Wie ich jetzt auf Gozo komme? Ich habe bei Fräulein Kassandra gelesen, dass das „Azure Window“ eingestürzt ist. So, ist das. Durch ständige Belastung zerbrechen Verbindungen. Das gilt für Felsentore sowie Eltern-Kind-Beziehungen.

  • Das Seminar und ‚Das Röcheln der Mona Lisa.‘

    Im Dezember habe ich ein Seminar zum Thema „Hörspiel“ besucht. Offen gesagt, ich interessiere mich inzwischen nicht mehr besonders für Hörspiele und höre sie nur noch regelmäßig, abends im Bett, um besser einzuschlafen (da meine Gedanken so schön wegdriften). Der Grund für die Teilnahme war, dass es von dem Prof geleitet wurde, bei dem ich im März eine mündliche Prüfung haben werde. Andernfalls hätte ich ihn erst am Tag der Prüfung persönlich kennengelernt.

    Schon bei der Vorstellungsrunde merke ich sehr deutlich, dass ich die einzige bin, die das Seminar pragmatisch angeht. Die anderen Teilnehmer*innen sind dermaßen begeistert. Eine Teilnehmerin hat jahrelang ehrenamtlich im Bürgerfunk gearbeitet, eine andere hat tatsächlich eine Ausbildung zur Sprecherin absolviert, ein Teilnehmer brennt regelrecht für das Thema und erscheint mir als Experte in dem Gebiet. Als ich an der Reihe bin und den Grund meiner Teilnahme erklären soll, bleibe ich einfachhalber bei der Wahrheit und sage, dass ich den Seminarleiter vor der Prüfung persönlich kennenlernen wollte und ich erzähle, wie meine Kinder reagiert haben, als ich mit ihnen gemeinsam „Das Röcheln der Mona Lisa“ zur Seminarvorbereitung gehört habe. (Unbedingt reinhören, es lohnt sich!)

    Das Seminar verläuft in gewohnten Bahnen. Wie fast immer gibt es auch den allwissenden Spezialisten bzw. die allwissende Spezialistin unter den Teilnehmer*innen. Ich kann ihre Wortmeldungen nur mit einem inneren Augenrollen quittieren, inhaltlich ist das, was sie sagt, durchaus interessant, aber diese Art und Weise. In der Kaffeepause gerate ich mit ihr ein wenig aneinander und ich wundere mich darüber, wie sehr mich jemand aufregen kann, den ich eigentlich gar nicht kenne. Ich nehme mir vor an den beiden folgenden Tagen nicht mehr mit ihr zu reden. Es ist für uns beide besser so.
    Am Ende des zweiten Seminartages wird das Hörspiel vorgestellt, das wir am nächsten Tag gemeinsam aufnehmen werden. Die Sprechrollen sollen anschließend verteilt werden. Die allwissende Spezialistin beginnt zu kokettieren, alles sehr dramatisch. „Nein, ich werde keine Rolle übernehmen. Nein, meine Stimme ist komplett ungeeignet. Nein, ich nicht.“ Usw. usw. Ich will nicht mehr. Wir haben bereits überzogen und ich bin nur von ihr nur noch genervt. Ich melde mich zu Wort und frage in die Runde, ob wir die Rollen nicht einfach auslosen sollen. Der Vorschlag wird angenommen. Ich ziehe „Stimme 3“. Wir lesen das Manuskript zwei Mal mit verteilten Rollen und schon zu diesem Zeitpunkt hätte das auffallen können, was erst am nächsten Tag ausgesprochen wird.

    Am dritten Seminartag treffen wir uns im Tonstudio, das nicht dem aktuellen Stand der Technik entspricht. Es soll im nächsten Monat modernisiert werden, was wirklich überfällig ist. Mich erinnert das an die Zeiten, in denen ich mit meiner Schwester Zuhause mit dem Kassettenrekorder Radiobeiträge aufgenommen habe, vor über 30 Jahren. Wir haben sehr viel gelacht und das mache ich auch an diesem Tag im Tonstudio. Es macht sehr viel Spaß gemeinsam mit den anderen hier zu sein und die Sätze einzusprechen. Zwei Tage zuvor kannten wir uns gar nicht und jetzt fühlen wir den „Gemeinschaftsspirit“, der zwischen uns entsteht. Ich finde es aufregend und habe das Gefühl, dass ich das fürs erste Mal richtig gut mache.

    Dann fällt es auf. Eine Teilnehmerin hat keine Rolle. Sie hatte sich am Vortag nicht gemeldet. Sie winkt ab. „Nein, alles gut. Ich brauche keine eigene Sprechrolle.“ Aber wir anderen sind der Meinung, dass sie natürlich auch einen Teil übernehmen soll. Es wird kurz überlegt, was gemacht werden kann. Der Aufnahmeleiter entscheidet. „Sie übernehmen die Stimme 3.“

    „Ach, das bin ja ich!“, geht mir durch den Kopf. Ich versuche mich mit dem Gedanken zu trösten, dass ganz bestimmt wenigstens einen Satz, den ich eingesprochen habe, im fertigen Hörspiel zu hören sein wird. Denn die Teilnehmerin, die nun ein zweites Mal „meine“ Sätze einspricht, ist die oben genannte, die eine Ausbildung zur Sprecherin gemacht hat. Und ja, sie macht das wirklich ganz hervorragend, ja, sie macht das wirklich wesentlich besser als ich.

    Ich fühle mich richtig mies. Hätte ich nicht vorgeschlagen, die Rollen auszulosen, hätten wir darüber diskutiert und es wäre sehr schnell klar gewesen, dass eine Rolle fehlt. (Ja, klar, hätte der Seminarleiter die Teilnehmer*innen richtig gezählt, wäre das ganze überhaupt nicht passiert.) Ich fühle mich immer noch mies.

    An Weiberfastnacht kriegen wir den Link zum fertigen Hörspiel per Mail zugeschickt. Und obwohl ich es schon wissen könnte, trifft es mich viel mehr, als es sollte oder als ich es für möglich gehalten habe – kein Satz, den ich eingesprochen habe, ist zu hören. Es ist das eine nicht ins Team gewählt zu werden, aber es ist für mich so enttäuschend, so bitter in einem Team gewesen zu sein und dann… weg… gelöscht… (Ich stelle mir ein Gruppenfoto vor, von dem ich wegretuschiert wurde. )

    Es gibt viele Dinge, die ich in der Vergangenheit vermieden habe, um Enttäuschungen aus dem Weg zu gehen. Ich hätte mich beispielwiese nicht zu einem Seminar angemeldet, bei dem ein Hörspiel produziert wird. Jetzt frage ich mich, wie kann ich mit dieser Enttäuschung umgehen. Ich bin nicht bereit, in Zukunft wieder auf etwas zu verzichten, aber was mache ich jetzt?

    Ich ringe mich dazu durch eine E-Mail zu schreiben. Ich will, dass der Aufnahmeleiter von meinem Gefühl der Enttäuschung weiß. Ich schreibe ihm also davon, ohne Vorwürfe zu formulieren, ohne Ironie oder ähnliches. Und er antwortet mir tatsächlich. Ich bin aber immer noch enttäuscht, stecke so sehr darin fest, dass ich seine Antwort so interpretiere, dass ich eben zu schlecht war, dass es schon okay war, meine Aufnahmen zu löschen. Er schreibt, dass es mich damit trösten soll, in den Credits namentlich genannt zu werden.

    Nein, das tröstet mich gar nicht, das macht es gerade nur noch schlimmer. Ich war zu schlecht, um es ins Hörspiel zu schaffen, werde aber genannt. Toll. Ich merke, dass mich das zu sehr mitnimmt und mir wird klar, dass ich gar nicht weiß, wie ich mit Enttäuschung umgehen soll, mir fehlt die Erfahrung.

    Rational ist mir das klar, aber emotional bin ich noch meilenweit von einer Lösung entfernt. Das wird sich ändern, das weiß ich auch, aber so fühlt es sich nicht an.

  • Mein Jahresrückblick 2017

    Ganz grob auf einer Skala von 1 bis 10: Wie war Dein Jahr?
    Ich halte nichts davon, ein Jahr zu bewerten. Es gab sicherlich bessere Jahre in meinem Leben, aber jetzt in diesem Moment, bin ich zufrieden und das ist, was für mich zählt.

    Zugenommen oder abgenommen?
    Zugenommen.

    Haare länger oder kürzer?
    Kürzer.

    Kurzsichtiger oder weitsichtiger?
    Weder noch.

    Mehr Geld oder weniger?
    Weniger.

    Mehr ausgegeben oder weniger?
    Mehr.

    Der hirnrissigste Plan?
    Ich schaffe das alleine.

    Die gefährlichste Unternehmung?
    Die gefährlichste Unternehmung steht mir bevor. Ich fahre mit meinen Töchtern am 3. Januar in Mutter-Kind-Kur. Ich weiß, dass ich gute Gründe hatte, sie zu beantragen, ich kann mich aber gerade nicht an sie erinnern. Nach meinen Erfahrungen mit der Reha 2014 überwiegt momentan ein starkes Unbehagen, wenn ich an die Mutter-Kind-Kur denke.

    Die teuerste Anschaffung?
    Ein Notebook.

    Das leckerste Essen?
    Weihnachtsplätzchen.

    Das beeindruckendste Buch?
    Überlebensglück von Oskar Negt
    Nussschale von Ian McEwan
    Ich habe im März Lesungen von Oskar Negt und Ian McEwan besucht. Oskar Negt hat mich nachhaltig beeindruckt.
    Der Prozess und Die Verwandlung von Franz Kafka

    Der ergreifendste Film?
    Nicht alles schlucken – Ein Film über Krisen und Psychopharmaka. Sehr empfehlenswert!
    Der Dunkle Turm.

    Die beste Serie?
    Hap and Leonard

    Die beste CD?
    Hidden Beauty von Triosence

    Das schönste Konzert?
    Joey Alexander im Grillo Theater Essen
    Triosence im Pantheon Theater Bonn

    Die meiste Zeit verbracht mit…?
    meinen Kindern.

    Die schönste Zeit verbracht mit…?
    meiner Familie und Freundinnen.

    Vorherrschendes Gefühl 2017?
    Sehnsucht.

    2017 zum ersten Mal getan?
    Alleine gewohnt.

    2017 nach langer Zeit wieder getan?
    In unser Haus gezogen.

    3 Dinge, auf die ich gut hätte verzichten mögen?
    Schulprobleme.
    Orientierungslosigkeit.
    Zweifel.

    Die wichtigste Sache, von der ich jemanden überzeugen wollte?
    Mich davon, dass ich mit mir und meinem Leben zufrieden sein kann.

    Das schönste Geschenk, das ich jemandem gemacht habe?
    Verbündete: Ein Handbuch für Partnerinnen und Partner von Überlebenden sexueller Gewalt. (Nicht das schönste, aber ein sehr, sehr wichtiges.)

    Das schönste Geschenk, das mir jemand gemacht hat?
    Dasein, zuhören und Hilfe anbieten.

    Der schönste Satz, den jemand zu mir gesagt hat?
    „Komm, lass es uns den Kindern sagen.“

    Der schönste Satz, den ich zu jemandem gesagt habe?
    „Ich liebe dich.“

    Besseren Job oder schlechteren?
    Weder noch.

    Dieses Jahr etwas gewonnen und wenn, was?
    Ein Schnittmuster.

    Mehr bewegt oder weniger?
    Weniger.

    Anzahl der Erkrankungen dieses Jahr?
    Mehrere Erkältungen.

    Davon war für Dich die Schlimmste?
    Erkältungen sind nervig, aber nicht schlimm.

    Dein Wort des Jahres?
    Vertrauen.

    Dein Unwort des Jahres?
    Grundschule.

    Dein Lieblingsblog des Jahres?
    READ ON MY DEAR, READ ON.

    Dein größter Wunsch fürs kommende Jahr?
    Ein Thema für meine Bachelorarbeit finden und sie schreiben.

    2017 war mit 1 Wort…?
    Turbulent.

    Mein Jahresrückblick 2016

  • Skeptizismus

    Ich schreibe an einer Hausarbeit. Eigentlich… Denn ich schiebe das Schreiben vor mir her. Studieren zu können ist für mich traumhaft, aber Hausarbeiten sind ein Albtraum. Bisher habe ich nicht verstanden, warum das so schwer für mich ist. Vielleicht gibt es keinen Grund… oder die Qualen gehören für mich zum Schreiben dazu. Und wenn ich an meiner Arbeit nicht weiterkomme, dachte ich mir, kann ich hier etwas schreiben, was mir ebenfalls nicht einfach fällt. Die Worte aus meinem Kopf zu bekommen, ist tatsächlich häufig wie eine Art Kopfgeburt.

    Das heutige Thema Skeptizismus – meine Gedanken, meine Erfahrungen, meine Schwierigkeiten.

    Meine Tochter fragte mich: „Mama, woher weiß ich, dass die anderen Menschen keine Roboter sind?“ Ich liebe es, wenn meine Kinder solche Fragen stellen. Meine Antwort: „Das ist eine sehr gut Frage! Du kannst immer nur von dir selbst mit Sicherheit etwas wissen. Du weißt, dass du ein Mensch bist. Du weißt, dass du Gefühle hast. Aber was andere Menschen denken, was sie fühlen, wie sie fühlen, dass kannst du nicht wissen. Aber du hast sehr viel Mitgefühl und du kannst dir das alles vorstellen. Du kannst mitfühlen. Wenn du ein Kind siehst, das weint, dann kannst du erkennen, ob es dies aus Freude oder Traurigkeit tut und du kannst es nachfühlen. Glaube daran, dass alle Menschen Menschen sind.“

    Ich bin aufgrund meiner Kindheit viel zu lange in meinem Leben eine Zweiflerin, eine Skeptikerin gewesen.

    „Der Skeptizismus ist nicht die Entdeckung einer Unzulänglichkeit des menschlichen Wissens, sondern die Entdeckung der Unfähigkeit, den anderen anzuerkennen.“ (aus: Wo ich ende und du beginnst: Getrenntheit und Andersheit bei Stanley Cavell von David Gern, Seite 121)

    Ich habe nie an dem Gefühl gezweifelt, nicht gut genug zu sein. Ich war mir sicher, dass es viele Gründe gibt, mich nicht mögen zu können. Es war sehr einfach zu glauben, dass ich nicht ausreiche. Es ist mir schwer gefallen, Vertrauen zu haben. Ich habe es trotzdem geschafft, Menschen zu finden, denen ich vertraue. Das war aber bei jedem einzelnen ein langer Weg. Ein Abwegen, ein Prüfen. Kann ich das Risiko eingehen, mich diesem Menschen zu öffnen? Es war mir oft unbegreiflich, dass dort ein Mensch ist, der mich mag, so wie ich bin. Und es war ein Kampf mir einzugestehen, dass ich diesen Menschen auch mag.

    Die bereichernste Erfahrung war die Geburt meines Sohnes. Das erste Mal in meinem Leben liebte ich, einfach so. Da war kein Zweifel, kein Kampf, kein Hinterfragen. Und die glücklichsten Momente waren die Geburten meiner Töchter, die ich auch vom ersten Moment liebte. Einfach so. Bedingungslos.

  • Meine Therapie-Erfahrungen Teil 1

    Ich habe eine Hausarbeit einer jungen Studentin gelesen, die sich u.a. mit dem Thema beschäftigt, wie Psychotherapie in Filmen dargestellt wird. Sie verweist auf eine Studie, die zu dem Ergebnis kommt, dass die Darstellungen keinen Bezug zur heutigen Realität haben. Die Heilung eines von einer psychischen Erkrankung Betroffenen erfolgt in Filmen entweder durch Liebe oder Katharsis. Im ersten Fall verlieben sich TherapeutIn und PatientIn und die Heilung erfolgt durch die Liebe zueinander. Im zweiten Fall kehren plötzlich die Erinnerungen des Patienten/ der Patientin an ein traumatisches Erlebnis dank des Therapeuten/ der Therapeutin zurück. Der Patient/ die Patientin ist damit direkt geheilt. (Als Beispiel fällt mir gerade der Film Herr der Gezeiten ein.)

    Diese Darstellung in Filmen prägt unbewusst die Vorstellungen und Erwartungen, die der Zuschauer/ die Zuschauerin von einer Therapie und deren Verlauf entwickelt.

    Vor ca. 4 Jahren und 6 Monaten las ich einen Spruch, so ähnlich wie der im Header. Ich war fest entschlossen, etwas in meinem Leben zu ändern und hatte die Erwartung, dass diese Änderungen schnell sichtbar werden würden. Ich hatte die Vorstellung, dass allein der Entschluss etwas zu ändern, ausreicht um „diese Gefühl“ nie wieder zu haben. Was passierte tatsächlich? Ich setzte mich mit dieser Erwartung noch stärker unter Druck, dass ich es alleine schaffen werde, mein Leben zu ändern. Es ging mir mit der Zeit immer schlechter.

    Es dauerte weitere Monate bis ich im August 2013 zu meinem Hausarzt ging, um mit ihm über die Möglichkeiten einer Psychotherapie zu sprechen. Ich weiß noch genau, wie schlecht es mir im Wartezimmer ging, weil ich Angst hatte, dass er mich nicht ernst nehmen würde, dass er mich wegschickt. Ich empfand es als Niederlage, es nicht alleine zu schaffen. Es war unsagbar schwer für mich, zugeben zu müssen, dass ich Hilfe brauche. Und das ist alles furchtbar! Das ist so einfach absolut falsch! Angst davor zu haben, nach Hilfe zu fragen, ist einfach nicht richtig! Ein Hausarzt/ eine Hausärztin, der seinen Patient/ seine Patientin nicht ernst nimmt, ist kein guter Hausarzt/ keine gute Hausärztin! That’s it!

    Mein Hausarzt gab mir eine Verordnung und die Telefonnummer der Zentralen Informationsbörse Psychotherapie, die darüber Auskunft geben kann, welche Praxis über freie Kapazitäten verfügt.

    Am 3. September 2013 hatte ich das Erstgespräch bei der Therapeutin, über die ich bereits hier geschrieben habe. Leider war sie als Therapeutin für mich absolut ungeeignet und ich brauchte anschließend lange Zeit, um den Mut für eine zweite Therapie zu sammeln.

    Was will ich damit eigentlich sagen? Es braucht Zeit. Ich habe 36 Jahre lang „diese Gefühle“ gehabt und es dauerte 4 Jahre und 3 Monate bis ich merkte, dass sie sich gelöst haben. Heute mit 40 Jahren weiß ich das. Mein Entschluss stand am Anfang, erst danach waren für mich Veränderungen möglich. Langsam, nach und nach.

    Auch wenn die Medien und das persönliche Umfeld suggerieren, dass eine plötzliche Heilung möglich ist, zeigt dass nicht die Realität.

  • Scheinriese

    Vor kurzem war ich auf einem Jazz-Konzert. Mich interessierte der Auftritt des Hauptacts und ich war absolut begeistert davon. Der Opener war das Tamara Lukasheva Quartett, dessen Musik auch gut war, aber mich nicht mitgerissen hat. Die Musikerin und Sängerin Tamara Lukasheva erzählte zu jedem der Lieder ihre Gedanken.

    Sie erzählte von einem Besuch in ihrer Heimatstadt Odessa. Dort steht ein Fabrikgebäude, das ,seitdem sie sich erinnert, nie in Betrieb war und weitgehend unverändert geblieben ist. Sie sagte, dass sie sich in diesem Gebäude gesucht hat, aber was sie fand, war ein anderes Ich, ein Ich aus der Vergangenheit, ein Ich, das es nicht mehr gibt.

    In dem Haus, in dem ich die ersten 12 Jahre meines Lebens aufgewachsen bin, hatte ich 20 Jahre nicht mehr gesehen. Das Haus neben der Kirche. Es gab in den letzten 20 Jahren keinen Grund dort hin zu fahren, ich habe den Ort nicht bewusst gemieden.

    Am Wochenende sind wir an diesen Ort gefahren. Auf dem Weg erklärte ich den Kindern, dass mich die Erzählung der Musikerin auf diesen Gedanken gebracht hatte.
    Ich zeigte den Kindern das Haus, zeigte auf das Fenster, das das Fenster meines Zimmers war. Ich sagte Dinge wie „Hier war das Wohnzimmer.“ und „Hier war das Elternschlafzimmer.“ und „Das Kirchengebäude sieht aus wie früher.“ und „Hier war unsere Terrasse.“ und sehr oft „Ist das alles klein.“

    Wir sind zum Spielplatz hinter dem Haus gegangen. Ich habe ihnen das Haus gezeigt, in dem mein bester Freund wohnte. Und immer wieder der Gedanke, dass das alles so klein ist.

    Meine Tochter fragte mich: „Mama, was hast du gefunden?“ Meine Antwort: „Nicht mich.“ Ich habe viele Erinnerungen gefunden und erzählte, die Geschichte mit der Blindschleiche und wie mich der Pastor dabei ertappte, wie ich die Blütenblätter der Mohnblume abgezupft hatte. Ich dachte an die Kirschbäume, auf die mein Vater geklettert war. An das Schlittenfahren.

    Es war gut, an diesen Ort zu fahren, um zu sehen, wie klein das tatsächlich alles ist.

    Lesenswert in diesem Zusammenhang ist die Geschichte vom Scheinriesen Herr Tur Tur.

  • Ein Brief an Frau B.

    Liebe Frau Grundschullehrerin,

    ich glaube, Sie wissen gar nicht, wie gut ich Sie verstehen kann. Es ist ja meine Tochter, die Sie unterrichten. Wir haben beide das gleiche Ziel: Ihre Schülerin/ meine Tochter soll mit Freude lernen. Den Weg dorthin stellen wir uns unterschiedlich vor.

    Schon bevor meine Tochter eingeschult wurde, ahnte ich, dass es mit ihr und der Schule nicht so reibungslos laufen würde. Die Erfahrungen, die ich mit meinem Sohn gesammelt hatte, waren insgesamt unerfreulich. Umso glücklicher waren wir, dass sich seine Situation nach dem Klassenwechsel deutlich entspannte. Das nur am Rande, denn grundsätzlich hatte ich die Hoffnung, dass bei meiner Tochter alles anders sein würde. Ich bin wirklich so, so gerne zur Schule gegangen (jedenfalls zur Grundschule) und ich dachte, das wäre bei meinen Kindern eben auch so. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

    Der Termin am vergangenen Mittwoch war sehr deutlich. Sie sind frustriert. Das haben wir sehr schnell verstanden. Das Thema ist wie in den letzten 10 oder mehr Gesprächen das gleiche. „Ihr Kind arbeitet nicht!“* Neu war, dass Sie fast durchgehend geredet haben. Also, geredet klingt zu nett, Sie haben sich ausgekotzt. 30 Minuten haben Sie uns erklärt, was unsere Tochter alles nicht macht, obwohl sie dazu absolut in der Lage ist. „Warum ist das so?“, fragen Sie meine Tochter, die keine Antwort darauf geben kann. Also wenden Sie sich an mich: „Was sagen Sie dazu?“ Ja, was soll ich sagen, was ich nicht schon in den letzten 10 oder mehr Gesprächen gesagt habe? So versuche ich so diplomatisch wie eben möglich zu erwidern, dass ich nicht damit gerechnet habe, dass meine Tochter, gerade in dieser Situation, erklären kann, was wir uns seit mehr als zwei Jahren fragen. Meine Antwort macht Sie gar nicht glücklich. Ich vermute, Sie würden jetzt gerne in die Tischkante beißen oder schreiend aus dem Klassenzimmer rennen, aber Sie versuchen ruhig zu bleiben und antworten mir: „Sie verstehen Ihre Tochter also?“

    Ja, genau. Ich verstehe mein Kind, und wenn ich es nicht verstehe, versuche ich es, und wenn das nicht hilft, denke ich „Sie ist, wie sie ist.“ und atme. Bitte trösten Sie sich mit dem Gedanken, dass Sie nur noch zwei Jahre lang die Lehrerin meiner Tochter sind. Zwei Jahre gehen schnell vorbei. Ich bin mir sicher, Sie schaffen das! Und ich bin mir sicher, meine Tochter schafft das auch!

    Denn, wissen Sie, so lange ich lebe, für immer, bin ich die Mutter meiner Tochter. Und auch, wenn ich mir immer wieder ein „Ja!“ wünsche, wo mir meine Tochter ein „Nein!“ entgegenschmettert, wird meine Tochter so sein, wie sie ist. Es hilft kein Meckern, kein Drängen und kein Schreien. Ja, natürlich habe ich schon gemeckert, gedrängelt und geschrien und werde dies in Zukunft auch wieder tun, aber geholfen hat es nicht!

    Vielleicht werde ich Sie eines Tages treffen und wir können gemeinsam über die Grundschulzeit meiner Tochter lachen. Vielleicht laufen Sie aber auch schnell weg, wenn Sie mich sehen und denken sich, dass die 10 oder mehr Gespräche mit mir für ein ganzes Lehrerinnenleben reichen!

    Herzliche Grüße,
    Jennifer Heart

    *Sie „arbeitet“, aber nicht so, wie es sich die Lehrerin vorstellt.

  • Allein.

    „Bleib erst mal allein!“, sagt meine Freundin.

    Ich weiß, wie es sich anfühlt, alleine zu sein. Ich habe meine Kinder, ich habe Freundinnen und wenn ich mit ihnen zusammen bin, fühlt sich das gut an, aber diese Lücke in mir können sie nicht schließen.

    „Du musst erst mal lernen alleine zurechtzukommen!“, sagt meine Freundin.

    Gibt es Menschen, die mit allem, allein zurechtkommen können oder wollen? Ich will das nicht mehr. Ich habe das in den vergangenen Jahren versucht. Unsere Leben, mein Leben alleine regeln. Überhaupt den Gedanken zuzulassen, dass ich mich in meiner Ehe einsam fühle, hat sehr viel Zeit in Anspruch genommen. Zu Beginn war der Gedanke  winzig klein, so dass ich ihn immer wieder verdrängen konnte. Aber auf Dauer hat es mich so wahnsinnig viel Kraft gekostet, so viel Kraft.

    Und jetzt bekomme ich also den Ratschlag alleine zu bleiben, erst mal lernen es alleine zu schaffen. Danke! Das ist genau das, was ich in der Vergangenheit gemacht habe, was mich hierhin führte.

    Ja, wir können darüber diskutieren, ob es gut für mich ist, mich mit diesem Mann zu treffen. Aber vorneweg: Ich will nicht bei ihm einziehen. Ich will ihn nicht heiraten. Ich will kein Kind von ihm.

    Ich will mich in der Zeit mit ihm geborgen fühlen, einfach nur ich sein und so gesehen werden. Ja, klar, so weit wie das möglich ist, wenn man sich kaum kennt.

    Ich will in seinen Armen einschlafen und mich spüren, ihn an mir spüren. Vielleicht ist das naiv. Vielleicht ist das dumm.

    Aber das ist, was ich will, was ich brauche, und das kann er mir geben. Heute. Vielleicht auch morgen. Und danach? Ich weiß es nicht.

    Ich weiß nur, dass die nächsten Schritte unendlich schwerer werden, wenn ich mich alleine fühle.

    Also lass mir meine Illusion, lass mir meinen Wunsch, mich mit ihm ganz zu füllen – nicht mehr alleine. Auch wenn du nicht einverstanden bist.

    Es ist ein gutes Gefühl, eine Freundin zu haben, die mich unterstützen will. Ich hätte nicht erwartet, wie sehr mir meine Freundinnen helfen werden und weiterhin helfen möchten, aber diese Lücke in mir können sie nicht schließen.

  • Leben!