Herr Reul, bitte lassen Sie sich beraten!

CN sexuelle Gewalt gegen Kinder, Suizidgedanken

„Für mich ist sexueller Missbrauch wie Mord.“

Herbert Reul am 11.06.2020

Er setzt diese Aussage im Weiteren fort: „Damit wird das Leben von Kindern beendet – nicht physisch, aber psychisch.“ Was soll denn das bedeuten? Ein Kind, das sexueller Gewalt ausgesetzt war, lebt also im Anschluss wie ein seelenloses Wesen – wie ein Zombie.

1984 wurde ich eingeschult und bin dann auf meinem täglichen Schulweg am Elternhaus von Herbert Reul vorbeigegangen. Das weiß ich so genau, da Herbert Reuls Vater der Bürgermeister meines „Heimatortes“ war. Da in diesem Ort nicht viel passierte, war es etwas besonderes am Haus des Bürgermeisters vorbeizukommen. „Ui, schau mal, da wohnt der Bürgermeister.“ Herbert Reul ist 25 Jahre älter als ich, so dass ich ihm vermutlich nie persönlich begegnet bin. Aber vielleicht hat er mich einmal gesehen, als er seine Eltern besuchte, wie ich von der Schule wieder nach Hause ging. Ich bin mir sicher, dass ich wie jedes andere Schulkind wirkte. Vielleicht bin ich in dem Moment gehüpft, habe gelacht. Vielleicht war ich so schnell auf meinem Rad unterwegs, dass er sich gar nicht sicher war, ob ich überhaupt am Haus vorbeigefahren war. Ein Zombie war ich auf keinen Fall.

Das letzte was ein Opfer von sexueller Gewalt braucht, ist ein alter, weißer Mann, der ihr erklärt, wie sie sich zu fühlen hat. Zum ersten würde es helfen, die Dinge beim Namen zu nennen. Es geht nicht um Kindesmissbrauch. Dieser Begriff ist irreführend und falsch. Die Bezeichnung „sexuelle Gewalt“ ist ebenfalls nicht optimal, denn es geht hier um Vergewaltigung.

Warum macht sich ein gebildeter Mann nicht die Mühe, die richtigen Worte zu finden? Als NRW-Innenminsiter hat er sicherlich die Möglichkeit, sich eine Rede schreiben zu lassen. Am besten von jemanden, der sich auskennt. Oder vielleicht einfach mal die Fresse halten. (Entschuldigen Sie die unsachliche Ausdrucksweise.)

Ich kann nur von mir als Opfer sprechen, ich weiß nicht, wie andere sich fühlen. Was m.E. helfen würde? Solidarität, echte Solidarität! Reflexhaft darüber zu sinnieren, dass Strafen erhöht werden müssen, ja, danke, kenne ich schon. Hilft keinem Opfer, hilft nicht weitere Kinder zu schützen. Das sind nur hohle Worte, die zeigen, dass sich da jemand nicht mit dem Thema befasst hat.

Opfer zu sein, ist ein Teil meines Leben. Das hat lange Zeit mein Leben überschattet. Ich hatte schon früh Selbstmordgedanken und dachte, dass das „normal“ wäre. Es war ein Auf und Ab. Das wird mich mein Leben lang begleiten, etwas was ich nicht wollte, etwas, was es nicht geben sollte, etwas, für was ich nicht die Schuld trage. Ein langer Weg.

Aber das ist nicht alles, was mich ausmacht. Da ist mehr. Wenn Herbert Reul mich also für seelisch tot erklärt, dann macht er das sehr medienwirksam, will sich als Versteher und Handler postitionieren und entblößt genau das Gegenteil. Für den, der keine Ahnung hat, für den gibt es immer die Option schweigen. Mit etwas Willen hätte er den Opfern eine Stimme geben können, hat er aber nicht. Danke für nichts.


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