Brief an den Therapeuten 18.10.2021

Lieber Herr Therapeut,

in den letzten Tagen konnte ich ein paar Dinge für mich sortieren und es würde mir schwer fallen diese Dinge auszusprechen, deswegen schreibe ich Ihnen erneut einen Brief.

Wenn ich das Folgende sage, bin ich mir darüber im Klaren, dass es sich dabei um einen Wunsch handelt, der sich nicht erfüllen lässt. Ich glaube aber, dass es für mich wichtig ist, es Ihnen zu sagen, um das Thema für mich abzuschließen zu können.

Ich hatte in der letzten Sitzung gesagt, dass die therapeutische Beziehung für mich in keine Kategorie passt und dass es mir deswegen schwer fällt, diese einzusortieren. Das hat vor allem auch damit zu tun, dass ich für mich viele Dinge durcheinander geworfen hatte, die ich jetzt versucht habe, wieder auseinander zu dividieren. Vor allen Dingen hatte ich auch Privatheit mit Intimität verwechselt und auch Sympathie mit dem Wunsch eine Art von persönlicher Beziehungen anzustreben, so als wäre das eine zwingende Folge aus dem anderen.

Ich weiß jetzt, dass es nicht notwendig ist, jemandem zu vertrauen – Nein falsch! – Dass ich einen Menschen nicht zwingend mögen muss, um ihm vertrauen zu können, was aber nichts daran ändert, dass ich Sie mag und mir wünschen würde, mit Ihnen eine private Beziehung zu pflegen und jetzt wo ich schon einfach hier alleine bin, fällt es mir schwer, das so zu formulieren und der Gedanke, es vor Ihnen auszusprechen, erscheint mir absolut absurd.

Sie müssen jetzt aber sicherlich keine Bedenken haben, dass ich Sie stalken werde – das lösche ich dann später – Ohne Sie privat zu kennen, habe ich zumindest eine Ahnung davon, dass wir bestimmte Gemeinsamkeiten haben und ich gerne mit Ihnen – beispielsweise – ins Theater gehen oder andere kulturelle Veranstaltungen besuchen würde, aber das wird sich so nicht realisieren.

Denn die therapeutische Beziehung, die ich zu Ihnen habe, ist eine professionelle Beziehungen und keine private. Diese Beziehungen ist nicht Teil meiner privat gelebten Gegenwart, auch wenn ich mir das wünsche.

Ich vertraue Ihnen und Ihrer fachlichen Kompetenz als Therapeut, aber ich vertraue Ihnen nicht als Mensch. Für die therapeutische Beziehung ist diese erst genannte Art des Vertrauens ausreichend und adäquat.

Als ich vor fünf Jahren zu Ihnen kam, dachte ich, ich würde mit Ihnen mehr über meine Kindheit sprechen und es stellte sich im weiteren Verlauf heraus, dass ich Probleme in der Gegenwart hatte, die ich mit Ihrer Hilfe gut lösen konnte. Im Rückblick war ich sehr erleichtert darüber, dass sich die Gegenwart hineingedrängt hatte und ich eben nicht über meine Kindheit – im Detail – mit Ihnen sprechen musste, weil mich das von dem Druck befreite, über Dinge zu sprechen, über die ich nicht sprechen möchte.

Denn die Vergangenheit macht mir Angst. Ich weiß selbst nicht, was mich erwarten wird. Ich muss oder ich werde versuchen Kontrolle abzugeben und ich muss mich darauf verlassen können, dass Sie das mit mir zusammen machen. Ich bin mir jetzt darüber klar geworden, dass ich in meinem Umfeld einige Personen habe, die mich in meiner Gegenwart begleiten und dass ich meine Leben im Heute gut bewältigen kann und dort auch Unterstützung habe. Ich brauche Ihre Hilfe aktuell nicht, um ein Heute meistern zu können, sondern ich brauche Sie, um über meine Vergangenheit sprechen zu können und ich bin mir sicher, dass Sie das auch fachlich und sachlich können.

Ich habe aber vor allem trotzdem Angst davor, dass Sie mich enttäuschen könnten, weil ich das Gefühl habe, ich würde mich schutzlos ausliefern und ich aus der Vergangenheit weiß, wie stark Enttäuschungen mich erschüttern. Ich weiß, dass diese Angst auch in Ordnung ist, da sie keine sachliche bzw. rationale Grundlage haben muss, um sie zu fühlen.

Ich habe Angst, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich eine weitere Enttäuschung überleben kann und wenn ich mich auf diese gemeinsame Therapie einlasse, werde ich Dinge sagen, die sehr viel Raum für Enttäuschung eröffnen und ich habe einfach schon zu viel Angst gehabt.

Und auch wenn das banal klingt, habe ich Angst davor zu weinen, weil doch meine Gefühle das Einzige sind, was ich nach außen hin kontrollieren kann – ich denke das zumindest – und das deutlichste Zeichen für mich dafür, dass ich Gefühle habe, ist das Weinen. Wenn sie mich weinen sehen, wissen Sie, dass ich Gefühle habe.

Bitte gehen Sie mit mir behutsam um. Und bitte enttäuschen Sie mich nicht.

Herzliche Grüße,


Beitrag veröffentlicht

in

von

Schlagwörter:

Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert