Kategorie: Allgemein

  • #Mutterkörper – Mein Körper und ich – eine Geschichte voller Missverständnisse

    Ich bin über einen Beitrag von Lareine auf Essential Unfairness auf diesen Blogroll von Das frühe Vogerl aufmerksam geworden.

    Eigentlich muss ich an meiner ersten Hausarbeit schreiben (eventuell folgt hierzu mal ein Beitrag), aber offen gesagt, übe ich mich seit knapp einer Woche in der Kunst der Prokrastination.

    Heute also ein Beitrag zum Thema „Mein Körper und ich – eine Geschichte voller Missverständnisse.“ Ich war nie ein besonders körperbetonter Mensch. Wie in fast allen Dingen habe ich eine sehr rationale Haltung zu meinem Körper. Ich habe Augen um zu schauen, Beine um zu gehen, Hände um zu greifen usw. Irgendwann bekam ich Brüste, aber wofür, das war mir irgendwie nicht ganz klar. Natürlich wusste ich, warum Frauen Brüste haben, aber für mich hatten sie keine Funktion, sie waren nicht nützlich. Aber sie waren halt da und das war okay.

    In der Bravo (die bei uns Zuhause verboten war) studierte ich eines Tages die Fragen an das Dr. Sommer Team. Ich habe sie immer sehr gerne gelesen und an diesem Tag, habe ich etwas fürs Leben gelernt. Eine Leserfrage behandelte das Thema Hängebrüste. Ich weiß nicht mehr, wie die Frage genau lautete, aber es ging darum, wie man feststellen kann, ob man Hängebrüste hat. Die Empfehlung des Dr. Sommer Teams lautete, den Bleistift-Test durchzuführen. Die Durchführung ist so simpel wie einfach. Brust freimachen, Bleistift genau unter die Brust halten und den Stift los lassen. Fällt der Bleistift zu Boden, ist das Ergebnis negativ (= kein Hängebusen). Fällt der Bleistift nicht zu Boden, ist der Test bestanden. Das Ergebnis lautet klipp und klar: Hängebusen.

    Ich hatte ja bereits in einem Beitrag geschrieben, dass ich sehr leistungsorientiert bin und so war meine Freude natürlich groß, dass ich diesen Test erfolgreich gemeistert hatte. Ich hatte ohne Zweifel Hängebrüste. Ich habe es zwar nie ausprobiert, aber ich könnte mir sogar vorstellen, dass ich mehrere Bleistifte am Hinunterfallen hindern könnte. Alleine mit der Kraft meiner zwei Hängebrüste.

    Es ist auch so, dass ich schon mit ungefähr 12 Jahren die ersten Schwangerschaftsstreifen hatte. Da ich ja zu diesem Zeitpunkt nie schwanger gewesen war, waren es im Grunde genommen Dehnungsstreifen. (Aber der Begriff Schwangerschaftsstreifen ist der geläufigste, obwohl auch Männer diese haben können.) Mit 14 oder 15 Jahren hatte ich eine Phase, in der ich zunahm. Es müssen um die 15 kg gewesen sein. Mit 16 Jahren nahm ich diese plus 5 weitere kg mit einer Radikaldiät ab (= wenig essen und viel rauchen). Mein Bindegewebe dankte es mir, mit weiteren Schwangerschaftsstreifen. Und zwar an fast allen Körperteilen. An den Oberschenkeln, den Kniekehlen, dem Rücken, den Hüften, dem Bauch, den Brüsten und an den Oberarmen. Ich war zwar unzufrieden damit, aber ich fand mich ab.

    Ich kann also sagen, dass ich schon 20 Jahre vor meiner ersten Schwangerschaft einen After-Baby-Body hatte. Also einen After-Baby-Body, der eher mit negativen Begriffen belegt ist. Ich hatte und habe Hängebrüste, Schwangerschaftsstreifen und auch Cellulite. Und ich hatte in diesen 20 Jahren gelernt, meinen Körper so zu akzeptieren (obwohl das auch Schwankungen unterliegt).

    Durch die Schwangerschaften und durch meine Kinder hat sich sehr, sehr viel in meinem Leben geändert. Mit einer Ausnahme: Mein Körper sieht aus wie vorher. Mal etwas dicker, mal etwas dünner, aber ansonsten ganz der alte.

    Trotz allem ist mir bewusst, dass der Druck auf Frauen in Hinsicht auf ihren Körper und das Thema Schwangerschaft wächst. Für alle, die sich dafür interessieren, ist das Video, auf das Lareine verlinkt, wärmsten zu empfehlen. Das Lachen ist mir nicht nur einmal im Halse stecken geblieben.

  • Familiengeheimnisse…

    Mein Vater hat, so lange ich mich erinnern kann, immer gerne von seiner Arbeit erzählt. Welche Kunden er besucht hat, welche Vertragsabschlüsse zu erwarten sind und welche Kunden aktuell Verträge unterschrieben haben. Außerdem liebt er es über Musik zu sprechen. Welche Platte er gekauft hat, kaufen wird, auf welchem Konzert er sein wird und auf welchem er war.

    Was meinen Vater davon abgesehen bewegt hat, wie seine Kindheit war oder welche politischen Ansichten er hat bzw. hatte, weiß ich nicht. Es gab keine tiefgründigen Gespräche mit ihm oder eigentlich so gut wie gar keine Gespräche, die sich weder um Musik noch Arbeit drehten. Es kam häufiger vor, dass ich mit meinem Vater sprach und erst nach einer gewissen Zeit merkte, dass er mir gar nicht zugehört hatte. Er saß zwar dort vor mir, aber er war überhaupt nicht anwesend.

    Mein Vater wurde in England geboren. Er musste sich viel um seine zwei jüngeren Geschwister kümmern, da seine Eltern arbeiteten. Mein Großvater arbeitete in der Textilindustrie, was meine Großmutter machte, weiß ich nicht. In einem Jahr bekam mein Vater Rollschuhe, einen Holzroller und einen Ball zu Weihnachten geschenkt. Er war so froh darüber, dass er sich im kindlichen Übermut die Rollschuhe anschnallte, sich auf den Holzroller stellte, sich den Ball unter den Arm klemmte und so ausgestattet eine Treppe hinunterfuhr. Leider nahm das kein gutes Ende. In einem anderen Jahr musste mein Vater vor Gericht erscheinen. Er hatte unerlaubterweise auf einem Baustellengelände gespielt und wurde dabei erwischt. Er wurde zu einer geringen Geldstrafe verurteilt, was meinen Großvater so sehr aufregte, dass dieser mehrere Pfund Strafe zahlen musste. Es gibt vielleicht noch zwei oder drei kurze Anekdoten, die mein Vater aus seiner Kindheit erzählte, mehr weiß ich nicht.

    Als mein Vater 18 Jahre alt war, emigrierte die Familie nach Südafrika, in ein Land in dem Rassentrennung herrschte. Die Textilindustrie in England war dem Untergang geweiht und mein Großvater hatte seine Arbeit verloren. So ging er als Wirtschaftsflüchtling in ein Land, indem es so viele Menschen gab, die unter der Apartheid leiden mussten.

    Ich habe meinen Großvater fünfmal in meinem Leben gesehen. Er war ein überzeugter Rassist und nahm in der Hinsicht kein Blatt vor den Mund. Oh, mein Gott, was er uns erzählte, war wirklich schwer auszuhalten. Mein Interesse mich mit ihm zu unterhalten, war dementsprechend extrem gering und ich kann mich an kein angenehmes oder interessantes Gespräch mit ihm erinnern. Mit meiner Großmutter habe ich mich gar nicht unterhalten, obwohl sie mir nicht unsympathisch war. Mein Vater drängte uns dazu, mit ihr zu reden, sie zu umarmen, sie könne das nicht so gut.

    Ungefähr zwei Jahre später kam mein Vater von Südafrika nach Deutschland. Mit einem kleinen Koffer im Gepäck. Alles andere hatte er zurückgelassen. Ich glaube, dass er auch ein Flüchtling war. Vor was er geflohen ist, das weiß ich nicht. Aber irgendwo in Südafrika oder in England, ist all das, was mein Vater mir nie erzählt hat, all das, was ich nie wissen werde.

  • 5. Teil – Briefe aus der Reha in Jetwede

    Hallo meine Liebe!

    Ich könnte dir so viel schreiben. Von der Stressbewältigungsgruppe, den endlosen Vorträgen, dem Reiten auf der Poolnudel während der Wassergymnastik, der Beschwerde eines anderen Patienten darüber, dass die Orangen so schwer zu schälen sind, den sich ständig wiederholenden Gespräche am Tisch und dem Handarbeitsmarkt.

    Aber das hat alles so gar nix mit mir zu tun. Jeden Morgen stehe ich auf und sage mir: „Komm, nutz die Zeit! Mach das Beste draus!“ Aber ich will nicht mehr.

    Hier ist ein junge Frau, die unter Fibromyalgie leidet, sie hat ständig Schmerzen, sie wird massiv von ihrem Vorgesetzten gemobbt und erfährt keinerlei Unterstützung durch ihre Kolleginnen oder ihre Familie. Aber sie will unter keinen Umständen ihren Job aufgeben. Warum? Ich kann das nicht verstehen. Warum lässt sie das mit sich machen? Ihr Job ist ihr wichtig, aber erklärt das, warum sie sich so quälen lässt? Ist denn ihr Leben nicht wichtiger (wie pathetisch das klingt)?

    Susanne wird von ihrer Mutter nach Strich und Faden fertig gemacht. Sie wird von ihrer eigenen Mutter gemobbt. Als ich sie frage, warum sie das zulässt, sagt sie mir, dass ihre Mutter sonst niemanden hat. Ja, das ist doch auch kein Wunder! Wer will denn Zeit mit einer alten verbitterten und bitterbösen Frau verbringen?

    Wenn ich mich im Speisesaal umschaue, frage ich mich, was die anderen Patientinnen und Patienten erleben oder erlebt haben. Was ist ihre Geschichte? Was hat sie hierher gebracht? Es ist doch verrückt, was die Menschen sich gegenseitig antun, was die Menschen mit sich machen lassen, was sie aushalten (müssen).

    Ich bin nicht der Meinung, dass „jeder seines Glückes Schmied“ ist. So einfach ist es nicht. Aber ich steige hier aus. Ich habe einfach die Schnauze voll! Ich habe mich damit versöhnt, dass ich mich nicht mit meinen Eltern (und Geschwistern) versöhnen werde. Ich habe die Schnauze voll von meiner kranken Familie. Und dazu muss ich kein Bild mehr malen oder aus Ton einen Ball formen und auch nicht in der Gruppentherapie davon erzählen oder was weiß ich.

    Die anderen können hier ihre Probleme wälzen und mit der Poolnudeln durchs Becken reiten. Und ich wünsche ihnen von ganzen Herzen, dass es hilft! Aber ich fahre nach Hause zu meinen Kindern und meinem Mann.

    Wir sehen uns!

  • 4. Teil – Briefe aus der Reha in Jetwede

    Hallo meine Liebe!

    Am Wochenende habe ich mich so sehr gelangweilt. Unglaublich! Jetzt habe ich Zeit für mich und ich langweile mich. Es ist nicht so, dass ich nichts gemacht hätte. Ich war schwimmen, ich war im sog. Kraftraum und habe trainiert, ich war auf dem Crosstrainer, ich war auf dem Ergometer, ich habe sehr viel gelesen und trotzdem verging die Zeit im Schneckentempo.

    Den Kontakt zu den anderen Patientinnen vermeide ich weitestgehend. Wenn ich mal Gespräche im Vorbeigehen aufschnappe, wird fast immer gejammert. Bestimmt auch oft zu Recht, aber ich möchte das nicht hören. Ich habe nicht das Bedürfnis darüber zu diskutieren, wem es denn nun eigentlich am schlechtesten geht.

    Die Gestaltungstherapie war gut. Wir waren zu fünft, ausschließlich Frauen. Wir bekamen die Aufgabe den Satz „Ich liebe mich und akzeptiere mich, so wie ich bin. Bedingungslos!“ auf einen bunten Bogen Tonpapier zu schreiben. Als wir damit fertig waren, sollten wir auf schwarzes Papier schreiben, was uns davon abhält, diesen Satz zu leben. Ich tue mich sehr schwer mit solchen Dingen. Ich kann nicht spontan irgendwas aufschreiben, was mir durch den Kopf geht. Für mich sind solche Aufgaben wie ein Test, den ich bestmöglich bestehen will.

    Dementsprechend schrieb ich in Sonntagsschrift auf das schwarze Papier: Leistungsorientierung, Perfektionismus und zu hohe Erwartungen an mich selbst. Die drei Punkte schnitt ich fein säuberlich aus und klebte sie auf den Bogen mit dem o.g. Satz.
    Es war dann jedem selbst überlassen, ob in einer gemeinsamen Abschlussrunde über das Ergebnis gesprochen wird. Ich war damit einverstanden. Es ist pure Ironie, dass die anderen mich dafür lobten, wie schön und ordentlich mein Bogen wäre. Eine sagte sogar, dass sie gerne so weit wäre wie ich. Hahahaha! So weit wie ich. Ja, klar! Diejenige, die selbst in der Gestaltungstherapie, die Beste sein will.

    Im Einzelgespräch mit meiner Bezugstherapeutin sprachen wir darüber. Sie sagte, dass ich Niederlagen nicht gewohnt wäre. Ich presste das Wort „Niederlagen“ über meine Lippen. „Ja, Niederlagen wäre ich nicht gewohnt, aber nicht weil ich alles geschafft habe, sondern weil ich allem aus dem Weg gegangen bin, bei dem ich befürchtete zu scheitern.“

    Ja, so ist das wohl. Ich arbeite dran, das zu ändern. Diesen Satz habe ich mir aufgeschrieben, damit ich ihn bei Bedarf lesen kann: „Es geht nicht darum, wie gut du etwas machst, sondern darum was du fühlst, während du es machst.“

    Sehr schön war gestern Abend der Vortrag zum Thema „Gesunde Ernährung“ mit der Referentin, die ca. 20 kg Übergewicht hat. Sie erklärte uns eindringlich, dass wir nur „den kleinen Apfel“ essen sollen. Denn in Obst wäre viel Fruchtzucker, was viele unterschätzen würden. Zwei Portionen Obst am Tag und bitte nicht mehr. Ich sag es dir, der kleine Apfel war ein ganz großes Thema. Ja, ja, denn wer im Glashaus sitzt, der sollte auch wirklich nur mit möglichst kleinen Äpfeln werfen!

    Was mache ich hier eigentlich? Ich will nach Hause. Bin ich nicht bereit, die viel beschworene Komfort-Zone zu verlassen? Oder bleibe ich hier, weil ich denke, dass es von mir erwartet wird? Ich glaube, ich werde es hier nicht mehr lange aushalten. Am Wochenende gehe ich mit Inge auf den Handarbeitsmarkt in der Wandelhalle. Weißt du, was eine Wandelhalle ist? Ich könnte jetzt schon schreien! Handarbeitsmarkt?

    Liebe Grüße!

  • 3. Teil – Briefe aus der Reha in Bad Jetwede

    Hallo meine Liebe!

    Wie geht es dir?

    Im Speisesaal hat jeder einen fest zugewiesenen Sitzplatz. Offen gesagt, bin davon nicht begeistert. Es ist hier wie im Schullandheim! Ich nehme das als Herausforderung, Dinge so anzunehmen wie sie sind.

    Im Speisesaal sitzen mind. 80 Leute. Frauenanteil ca. 90%. Es ist ein Gequatsche und Geschnatter, wie im Hühnerstall. Es ist so laut, dass ich kaum klar denken kann. Ich sitze gemeinsam mit Susanne, Meike und Inge an Tisch 35b. Susanne erinnert mich so sehr an meine älteste Schwester. Sie redet viel und laut, sie sieht so aus wie sie und ist im gleichen Alter. Grundtenor: alles doof, ich kann es aber nicht ändern, die anderen sind schuld.

    Inge ist Krankenschwester, Anfang 60, und lässt sich die naturkrausen Haare schneiden, wenn der Mond im Löwen steht, da dann die Locken am besten fallen. Das finde ich so super, dass ich gar nicht weiß, was ich dazu sagen soll. Dass ich ihre Frisur furchtbar finde, sage ich natürlich auch nicht. Sie erinnert mich an meine Mutter. Sie kann alles, sie weiß alles, nur um sich selber kümmern, das kann sie nicht. Meike redet nicht viel. Sie hat vor Wut mit der Faust vor die Wand geschlagen und kann jetzt nur mit ihrer linken Hand essen. Darüber ist sie wütend. Ansonsten tut sie cool und abgeklärt. Wie meine ältere Schwester.

    Zum Glück haben nicht sechs Leute am Tisch Platz, ich befürchte sonst könnten hier noch zwei Männer sitzen, die so sind wie mein Bruder und mein Vater. So stelle ich mir die Hölle vor, ich sitze mit meinen Eltern und meinen Geschwistern an einem Tisch. Bei einem ewig andauernden Abendessen an Heilig Abend, im Hintergrund läuft „White Christmas“ in der Dauerschleife. Bei der Vorstellung könnte ich schreien.

    Susanne redet fast ununterbrochen. Sie ist sehr froh, dass eine Krankenschwester mit am Tisch sitzt, bei der sie medizinischen Rat einholen kann. Susanne hat seit Jahren Migräne und nimmt dagegen täglich starke Schmerztabletten. Zuhause hat ihr Arzt ihr Anti-Depressiva verordnet. Da sich durch die zeitgleiche Einnahme der beiden Präparate Wechselwirkungen ergeben haben, ist sie beim Frisör mit der Blondierung in den Haaren zusammengebrochen. Zum Glück konnte die Friseurin diese noch aus den Haaren waschen, bevor der Rettungswagen eintraf. Der Bestatter des Ortes, den sie seit langen Jahren kennt, hat ihr später versichert, dass er sie im Todesfall trotzdem noch richtig hübsch hergerichtet hätte. Das war sicherlich eine große Erleichterung für sie. Susanne ist u.a. hier, damit sie richtig auf die Anti-Depressiva eingestellt werden kann. Sie wiederholt gebetsmühlenartig, dass sie mit der Einnahme dieser erst beginnen kann, wenn sie die Schmerztabletten abgesetzt hat. Sie kann die Schmerztabletten aber nicht absetzen, weil sie Migräne hat. Wenn sie aber die Anti-Depressiva nicht nehmen kann, wird es ihr nicht besser gehen. Ihre Schlussfolgerung lautet, dass ihr keiner helfen will. Okay. Dann erzählt sie von dem Telefonat mit ihrer Mutter. Diese wirft ihr vor, dass sie so egoistisch sei, dass es unmöglich ist, dass sie einfach drei Wochen weg sei. Zum Schluss verabschiedet sie sich mit dem Satz: „Und friss nicht so viel. Du bist eh zu fett!“ Das sitzt – Schweigen am Tisch.

    Oh, ich muss los. Ergotherapie, bei der Körbe geflochten bzw. Specksteine zu Seifenschalen oder Teelichthaltern geformt werden, steht leider doch nicht auf meinem Therapieplan. Dafür habe ich gleich zum ersten Mal Gestaltungstherapie. Was das wohl wird?

    Liebe Grüße!

  • Der Tag meiner Geburt

    Heute habe ich einen Beitrag von Lareine zum Thema #derTagmeinerGeburt auf Essential Unfairness gelesen und bin somit auf die Blogparade von Nieselpriem aufmerksam geworden.

    Da ich vor einem Monat hier über die Schwangerschaft meiner Mutter, die Geburt und die vier Wochen danach geschrieben habe, möchte ich gerne an der Blogparade teilnehmen.

    Am kommenden Sonntag ist Muttertag. Meine Mutter sagte immer, dass ihr dieser Tag nicht wichtig sei, aber sie erwartete trotzdem, dass ich sie besuche. Dieses Jahr werde ich das nicht tun. Aus Gründen, die ich hier beschrieben habe. Und es fühlt sich richtig an.

    Ich würde gerne eine Mutter haben, mit der ich offen sprechen kann. Eine Mutter, der ich glauben kann. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Erinnerungen meiner Mutter in sehr vielen Fällen nicht mit meinen Erinnerungen übereinstimmen. Bis zu einem bestimmten Grad halte ich es für normal, dass die Erinnerungen anders als das Erlebte sind. Aber bei meiner Mutter ist vieles durcheinander geraten und vieles ist so nicht passiert.

    Also selbst wenn ich meine Mutter heute fragen würde, wie das so war mit meiner Geburt, weiß ich nicht, ob ich ihr glauben kann. Am Ende werden immer mehr Fragen und Zweifel als Klarheit bleiben. Und so habe ich aufgeschrieben, was meine Mutter mir früher erzählt hat und ob das so war, das werde ich nie erfahren.

    Wie alles begann!

  • 2. Teil – Briefe aus der Reha in Bad Jetwede

    Hallo meine Liebe!

    Meine Ex-Therapeutin war in manchen Dingen wirklich für mich sehr, sehr hilfreich. Viele Dinge konnte ich ändern. Mit ihr darüber zu sprechen, hat meine Gedanken sortiert, vieles wurde mir dadurch erst klar.

    Aber leider ist oft dort, wo Licht ist auch Schatten. So sehr sie mich in manchen Dingen bestärkt hat, so sehr hat sie mich in anderen Dingen verunsichert.

    Nach unserem ersten Gespräch muss ihr klar gewesen sein, dass ich nun, wo ich bei ihr bin, mein Trauma aufarbeiten muss! Vielleicht war auch ihr Ehrgeiz geweckt. Das ist ja durchaus auch wünschenswert, aber meines Erachtens hat sie sich irgendwann daran festgebissen. „Ich werde dieser Patientin helfen, ihr Trauma zu überwinden.“

    Im Laufe der Therapie kamen bei mir Zweifel hoch. Trauma aufarbeiten um jeden Preis? Wenn ich innerlich diese Widerstände spüre, mir jede Zelle meines Körpers signalisiert, dass ich das nicht will, muss ich trotzdem dagegen ankämpfen?

    Die Nachricht meiner Therapeutin war klar: Wenn ich nicht mir ihr gemeinsam die Büchse der Pandora öffne, wird etwas „Schlimmes“ passieren. Wenn ich nicht meine Vergangenheit aufarbeite, werde ich mein „Schicksal“ an meine Kinder weitergeben. Wenn ich mich nicht intensiv mit meinem Trauma beschäftige, bin ich nicht besser als meine Mutter.

    Ja, es wäre zwar schon gut, dass ich offen darüber sprechen kann, aber ich würde alles rationalisieren. Ich wäre ihr härtester Fall. Niemals hat sie jemanden kennengelernt, der so sehr rationalisieren würde wie ich. Ich wäre bei ihr in einem geschützten Raum, ich könnte alles rauslassen. Ja, es wäre auch ein Fortschritt, dass ich den Kontakt zu meinen Eltern abgebrochen habe, aber das Ziel wäre doch die Aussöhnung.

    Meine Zweifel wurden immer größer. Ich fühlte mich besser, aber musste immer an das denken, was die Therapeutin mir sagte. Ich stellte mir die Frage, darf ich, nach dem was ich erlebt habe, überhaupt glücklich sein? Rede ich mir womöglich ein, dass ich glücklich bin? Warum fiel es mir so leicht, den Kontakt zu meiner Schwester und zu meinen Eltern abzubrechen? Muss ich nicht traurig sein? Bin ich zu rational und verdränge meine Gefühle?

    Im ersten Gespräch mit meiner Bezugstherapeutin hier erzählte ich, warum ich letztes Jahr eine Krise oder eine Art Burn-out hatte, was in meiner Kindheit passiert ist, was sich verändert hat im vergangenen Jahr. Sie fragte mich, was mein Ziel in der Reha ist. Mein Ziel ist es Klarheit zu gewinnen, mit mir und meinen Entscheidungen ins Reine kommen. Sie sagte: „Okay, alles kann, nichts muss.“ Für mich die erste große Erleichterung.

    Einen Tag später Zweitsicht bei der Oberärztin Frau Dr. Möhnesee. Ihre Aufgabe ist es, die Ergebnisse/ Erkenntnisse der Bezugstherapeutin in diesem Zweitgespräch zu „prüfen“. Ggf. würde sie darüber entscheiden, welche Antidepressiva, die richtigen wären.
    Ich erzählte ihr also wieder, das was ich der Bezugstherapeutin erzählt habe, in Kurzform. Sie schaut mich an und beginnt mit: „Frau Heart, Sie sind zu gesund für eine Reha. Was Ihnen passiert ist, ist schlimm. Keine Frage! Aber sie haben einen Weg gefunden, damit umzugehen. Wie Sie gesagt haben, was passiert ist, hat sie geprägt, es bestimmt aber nicht Ihr Leben. Sie haben bereits die richtigen Entscheidungen getroffen. Sie werden sich als Kind Ihrer Eltern immer wieder fragen, ob es richtig ist, keinen Kontakt zu haben, das ist vollkommen normal. Es kommt aber nur auf das Ergebnis an und das ist, sich abzugrenzen. Sie müssen Ihr Trauma nicht aufarbeiten. Wenn sie nicht das Gefühl haben, dass etwas Schlimmes passieren wird, warum auch. Ich habe nie davon gehört, dass sich deswegen Ihre Erlebnisse bei Ihren Kindern wiederholen müssen. Ich habe das Gefühl, dass sie gut auf Ihre Kinder aufpassen. Sie müssten eigentlich einen Wellness-Urlaub machen, aber trotzdem können Sie hier bleiben.“

    Wow! Ich rationalisiere nicht, sondern bin reflektiert, habe mich mit meinem Trauma auseinander gesetzt und kann offen darüber sprechen.

    Augen auf bei der Therapeuten-Wahl, sage ich dir. In Zukunft werde ich versuchen, mich stärker auf meine Intuition zu verlassen. Hätte ich meine aufkommenden Zweifel ernst genommen und hätte einen anderen Therapeuten gesucht, hätte ich früher Klarheit gewonnen und wäre gar nicht hier! Aber: Hätte, hätte, Fahrradkette. Jammern bringt jetzt nix, aber in Zukunft werde ich anders handeln.

    Liebe Grüße!

  • 1. Teil – Briefe aus der Reha in Bad Jetwede

    Hallo meine Liebe!

    5 Wochen gehen rum wie nix! Das hat Jens zu mir gesagt, als ich gestern um 6:30 Uhr das Haus verlassen habe. So richtig glauben, kann ich es nicht. Jens hat sich zusammengerissen, ich habe geheult. Die Kinder haben es nicht bemerkt und haben fröhlich Tschüss gerufen. Ich bin weinend zur Bushaltestelle gegangen und wäre doch einfach so gerne Zuhause geblieben.

    Heute war das psychotherapeutische Aufnahmegespräch. Meine sogenannte Bezugstherapeutin ist ungefähr in meinem Alter und wirkt sehr sympathisch. Ich habe ihr erzählt, warum ich eine Reha beantragt habe und dass ich keine Traumabearbeitung möchte, was okay ist.

    Davon abgesehen, hat sie mir Reittheraphie angeboten. Ich habe freundlich abgelehnt und ihr gesagt, dass meine Ex-Therapeutin mit ihren Reitgeschichten eine starke Abneigung gegen Pferde bei mir hervorgerufen hat. Es gibt eine Vielzahl von Therapieangeboten. Bogenschießen, Ergotherapie (= mit Speckstein arbeiten, Körbe flechten, …), Gestaltungstherapie, Gruppengespräche, Progressive Muskelentspannung und Stressbewältigung usw. Also, alles Dinge, die ich schon immer machen wollte… nicht. Ich versuche wirklich offen zu sein, aber es ist für mich eine sehr große Herausforderung.

    Gerade war ich bei der ärztlichen Erstuntersuchung. Ich habe Reflexe, mein EKG ist wunderbar, ich kann hören, körperlich alles gut. Ich muss zum Glück nicht den Nordic Walking Kurs belegen, stattdessen soll ich zur Krankengymnastik im Wasser. Das erste Mal in meinen Leben habe ich das Gefühl, dass ich die Beste in einer „Sportgruppe“ sein könnte. Yeah!

    Ich habe ich mir die auf den Zimmern ausgelegte Info-Mappe durchgelesen. Es wimmelt von Geboten und Verboten. Besuch auf dem Zimmer verboten. Zapfenstreich um 22:30 Uhr. Feste Platzzuweisung im Speisesaal. Herrlich! Schlimmer als in der Jugendherberge, aber ich will nicht jammern, ich habe ein Einzelzimmer und selbst das ist keine Selbstverständlichkeit.

    Alle Leute hier sind nett und freundlich. Ach ja, und mit Inge, meinem Speisesaal-Buddy, gehe ich am Sonntag zum verkaufsoffenen Sonntag in Bad Jetwede… auf der Einkaufsmeile. Und ich sage dir, dass das wahrscheinlich das aufregendste Event in den kommenden 5 Wochen für mich sein wird. Inge ist wirklich sehr sympathisch, aber wie der Name vermuten lässt ist sie nicht ganz unwesentlich älter als ich. Aber du siehst ich arbeite bereits intensiv an meinen Socializing-Skills.

    Viele Grüße aus der Reha!

  • Kinderbilder im Netz?

    kein_bier_unter_vier

    Vor ein oder zwei Jahren las ich einen Artikel über das Thema „Kinderbilder im Netz“ in der Nido. Der Autor sprach sich klar dagegen aus. Ich löschte daraufhin die wenigen Bilder, die ich bei facebook von meinen Kindern gepostet hatte.

    Das Nuf hat etwas dazu geschrieben, dem ich mich klar anschließen kann. Auch auf Herzdamengeschichten gibt es dazu einen Beitrag, den ich sehr gerne gelesen habe. Wer sich online ein wenig umschaut, wird sehr viele aktuelle Artikel, Blog-Beiträge etc. finden. Wie bei den meisten Themen halte ich es für wichtig, dass sich Eltern über das Für und Wider Gedanken machen und abschließend zu einer eigenen Meinung finden, die sich für sie richtig anfühlt. Und wenn sie Kinderbilder im Internet veröffentlichen, ist das für mich okay.

    Ich aber werde nicht nur darauf verzichten Bilder meiner Kinder online zu stellen, sondern verzichte auch darauf Bilder meines Mannes, meiner Eltern, meiner Freunde, meiner Kollegen usw. zu veröffentlichen.

    Meine Kinder mögen es nicht, wenn ich mit anderen in ihrer Anwesenheit über sie spreche. Ich mache das ohnehin sehr selten, weil mir das als Kind immer sehr unangenehm und peinlich war. Ich mochte es einfach nicht. Ich bin mir sicher, dass meine Kinder nicht möchten, dass ich hier Bilder von ihnen zeige. Ich bin mir auch sicher, dass meine Kinder nicht möchten, dass ich hier über sie schreibe. Da sie aber zu meinem Leben gehören, wird es für mich schwer werden, sie ganz aus dem Blog rauszuhalten. Es ist für mich aber einfach auf Bilder zu verzichten. (Mal davon abgesehen, dass ich ohnehin anonym schreibe und es keinen Sinn ergeben würde, dann Fotos zu veröffentlichen, ob von mir oder meinen Kindern.)

    Da aber die Ausnahmen die Regel bestätigen, präsentiere ich heute ein Babyfoto von mir. Mit meinen Eltern. Warum ich einen Bierkrug in der Hand halte und so aussehe, als hätte ich einen großen Schluck davon getrunken, bleibt ein ewiges Rätsel. Ich denke, dass mich niemand erkennen wird, denn inzwischen trage ich keine Frotteestrampler mit Elefanten-Applikationen mehr!

  • Ich werde Feuerwehrmann!

    Mein Vater stand in Erziehungsfragen immer bedingungslos hinter meiner Mutter. Er kam von der Arbeit nach Hause, wenn ich schon im Bett war. Oft erst nach 22 Uhr.
    Ich habe keine Erinnerungen an ein gemeinsames Frühstück. (Obwohl mir gerade auffällt, dass ich keine einzige Erinnerung an überhaupt irgendein Frühstück in unserem Haus neben der Kirche habe.) Alles, was er vom Familienalltag wusste, war das, was meine Mutter ihm erzählte.

    Als ich ungefähr fünf oder sechs Jahre alt war, zündelte ich mit dem Nachbarsjungen im Wald. Er war zwei Jahre älter als ich und ich weiß noch ganz genau, dass er sich schon immer wünschte, entweder Müllmann oder Feuerwehrmann zu werden. Was ich nicht mehr weiß: wer die Idee dazu hatte, wer die Streichhölzer mitbrachte und was im Detail passierte.

    Umso besser kann ich mich daran erinnern, dass genau dieser Junge ein paar Stunden später an unserer Haustür klingelte und mir, während meine Mutter daneben stand, sehr genau erklärte, warum es falsch von uns gewesen war, Feuer im Wald zu machen. Ich konnte das nicht glauben! Warum auf aller Welt kam er zu uns nach Hause und erzählte mir das? Und meine Mutter konnte das alles hören! War der nur blöd? Ich stand da wie erstarrt.

    Nachdem die Haustür wieder geschlossen war, sagte meine Mutter: „Warte ab, bis deine Vater von der Arbeit kommt!“ Ein Horrorsatz! Und so kam es dazu, dass mein Vater mich über das Knie legte und mir mehrfach auf meinen nackten Hintern schlug. Wie erniedrigend das war!