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  • Sitzung 16.11.2021

    Sitzung 16.11.2021

    Lieber Herr Therapeut,

    die letzte Sitzung hat mir etwas Entspannung gebracht. Ich fühlte mich erleichtert. Am Tag darauf war ich erschöpft und ich legte mich nach der Arbeit für 36 Stunden ins Bett. Es ist einfach schwierig In meinem Alltag, die Ruhe zu finden, die ich vermisse und die ich auch brauche, um meine Gedanken kreisen zu lassen.

    Mir kam ein Gedicht von Itzig Manger in den Sinn. Ich habe es durch Zufall vor einigen Jahren gelesen und obwohl ich mich grundsätzlich nicht für Lyrik begeistern kann, hat es bei mir einen Eindruck hinterlassen. Ich denke mir, dass ein Gedicht, ein kurzes Gedicht, trotz der Knappheit viel Raum zur Interpretation lässt. Und ob das nun die Absicht des Autors war oder nicht, da ist Raum für meine eigene Deutung oder auch die Anwendung auf meine Lebenssituation. Das Gedicht ist im Original in Jiddisch, auf Englisch heißt es „On the way stands a tree“. Eine andere Übersetzung lautet „The bent tree“. Der gebogene oder verbogene Baum.

    Auf dem Weg oder am Weg steht ein Baum, von dessen Ästen Vögel In unterschiedliche Richtungen fliegen. Ein Junge, oder vielleicht könnte es auch ein Mädchen sein, sagt zu der Mutter, dass es sich, das Kind, vor den Augen, vor ihren Augen in einen Vogel verwandeln möchte oder könnte. Die Mutter erschrickt. Sie sagt „Zieh dir aber einen Schal an!“ und das Kind soll immer mehr Kleidungsstücke anziehen. So viel, bis es sich kaum noch bewegen kann. Das Gedicht endet sinngemäß mit dem Satz „Und in den Augen meiner Mutter sehe ich die Liebe, die mich nicht zu dem Vogel werden lässt, der ich sein möchte.“

    Es soll wohl so sein, dass jüdische Mütter besonders behütende Mütter sind. Ich kann das nicht beurteilen. Aber ich denke, dass es in allen Kulturen solche Eltern gibt. Aber dieses Gedicht lässt eben auch zu, das anders zu deuten. Es ist also von einem Baum die Sprache. Auf dem die Vögel sitzen. Und da kommen natürlich dann Wurzeln und Flügel zusammen. Es ist aber kein gerader Baum, der da am Wegesrand steht, es ist ein verbogener, ein krummer Baum. Also, die Basis stimmt nicht oder ist nicht optimal. Trotzdem. Die Vögel verschwinden. Sie können davonfliegen.

    Ich glaube, dass mir meine Eltern keine Wurzeln gegeben haben. Meine Eltern haben mir Fesseln gegeben. Und diese wiegen schwer. Ich spreche nicht so gerne in diesem Bild, weil es sehr plakativ ist. Aber diese Fesseln, die haben also verhindert, dass ich meine Flügel ausbreiten konnte und selbst wenn, hätte ich aufgrund der Last nicht vom Boden abheben können.

    In den letzten Tagen fühlte sich mein Herz so verwundet an, wie abgeschmirgelt. Vielleicht auch empfindlich. Umgeben von einem Schild aus Narbengewebe. Und ich glaube, dass es irgendwie an der Zeit ist, das abzulegen. Ich hab aber einfach noch zu große Angst, dass das Herz dann zerspringt. Mein Herz. Dass wenn ich jetzt weine, ich in meinen Tränen untergehe.

    An dem Tag, an dem ich Ihnen diesen Brief vorlese, werde ich mir ein Tattoo stechen lassen. Ich spüre das Tattoo auf meiner Haut. Der Gedanke ist schon in die Haut eingeschrieben. Und auch das ist jetzt sehr plakativ. Aber es muss für mich Sinn ergeben und das tut es. Paul McCartney hat ein Lied geschrieben. Das heißt Blackbird. Und diese Amsel von der er singt, sie soll fliegen. Trotz der Flügel, die gebrochen waren. Trotz der Augen, die müde sind. Und er sagt „Das ist der Moment, auf den du so lange, dein ganzes Leben, gewartet hast.“ Deswegen lasse ich mir eine Amsel tätowieren. Die mich daran erinnern soll, dass ich fliegen kann. Dass die Amsel die Lasten, die vielen Schichten der Kleidung, die Fesseln, ablegen kann. Sich frei machen kann.

    Ich höre meinen Eltern schon lange nicht mehr zu. Und wenn ich meine Glaubenssätze, die meine Eltern mir beigebracht haben, ablegen kann, dann werde ich ihnen, diesem Echo, nicht mehr gehorchen.

    Es ist jetzt Zeit für mich zu reden. Frei zu sein und zu fliegen.

    Viele Grüße,

     

     

  • Sitzung 08.11.2021

    Sitzung 08.11.2021

    Lieber Herr Therapeut,

    die letzte Sitzung war sehr schmerzhaft. Nachdem ich Ihre Praxis verlassen hatte, wusste ich für einige Augenblicke nicht, was ich machen soll. Es war schwer, zu gehen bzw. zu entscheiden, wohin ich gehen soll.

    Wenn ich in der letzten Sitzung gesagt habe, dass ich den Verrat meiner Eltern als eine Art Mord empfunden habe, möchte ich das revidieren und stattdessen sagen, dass sie mein Gefühlsleben, Gefühlserleben abgetötet haben.

    Es ging mir in den vergangenen Tagen schlecht. Ich fühlte mich wie von einem Nebel umgeben. Ich fühlte eine schwere Last, die mich niederdrückt. Ich fühlte gar nichts. Ich spürte meinen Körper nicht. Ich fühlte mich wie aufgelöst. Ich hatte Gefühle, wusste aber nicht welche.

    Mir ist schmerzhaft, noch einmal stärker, bewusst geworden, wie sehr meine Kindheit meine Entwicklung beeinflusst hat. Und welchen Einfluss das immer noch auf mich hat. Wie stark das Verhalten meiner Eltern, mich verdreht hat. Dass ich es als so bitter empfinde, dass ich mich mein ganzes Leben gefragt habe, was nicht mit mir stimmt. Und ich mich immer wieder gefragt habe, ob ich eine Art von Persönlichkeitsstörungen habe. Und den Fehler bei mir gesucht habe.

    Was haben meine Eltern mit mir gemacht? War es das wirklich wert? Den egoistischen Drang seine eigenen Gefühle über sein Kind zu befriedigen. Auf Kosten meiner gesunden Entwicklung und Persönlichkeitsentfaltung.

    All diese Jahre voller Selbstzweifel und Sehnsucht. Und voller mühsamer Anstrengungen. Einfach für den ***** All diese Energie, die ich investiert habe. In meinem Leben. Um ein Ziel zu erreichen, das nicht zu erreichen ist. Die viele Energie, die ich brauche, um ein gutes Leben führen zu können. Heute.

    Ich habe einen Podcast gehört zu C. G. Jung. Bei dem es nur um Basiswissen ging. Und eine Soziologin war eingeladen, um darüber zu sprechen und. Nein, das war keine Soziologin, das war eine Psychologin für Tiefenpsychologie. Zu mindestens bei einer der Aussagen, dass in der Mitte des Lebens die Erkenntnis auftauchen kann, dass da ein Drang gespürt werden kann, dass da ein anderes Leben, da ist ein anderes Leben, das gelebt werden möchte. Diesen Drang spüre ich auch. Der hat aber mit meiner Lebensmitte nichts zu tun. Ich möchte ein freieres und mutigeres Leben leben. Und ich möchte nicht bitter darüber werden, dass es dieses Leben unter anderen Umständen bereits gegeben hätte. Und das macht mich so sauer. Dass meine Eltern rein gar nichts verstehen. Nichts. Was Sie mir angetan haben. Wie schwer mein Leben ist.

    Ich möchte, dass Sie mir dabei helfen. Ich habe Angst. Meine ehemalige Therapeutin. Sie hat so viele schlimme Dinge zu mir gesagt, die sich in mich eingebrannt haben. Und sie hat genau in die Kerbe geschlagen, an der meine Eltern schon gearbeitet hatten. Und deswegen ist es mir auch leicht gefallen, das zu glauben. Ich wäre selber Schuld daran, dass meine Eltern mir nicht glauben würden. Weil ich alles so rationalisieren würde. Ich würde berichten, wie in einem Artikel in einer Tageszeitung. Sehen Sie Sie reagieren über. Wieder. Sie haben sich nicht genug angestrengt. Wir haben zu wenig erreicht. Sie haben zu wenig erreicht.

    Wenn wir zusammenarbeiten und ich mich darauf einlasse… Wenn das nicht klappt. Also wenn die Therapie nicht aufgeht. Ich weiß nicht, ob ich das nochmal schaffe.

    Ich will mich auf den Weg machen. Bleiben Sie bei mir, bitte.

    Grüße,

  • Brief an den Therapeuten 18.10.2021

    Brief an den Therapeuten 18.10.2021

    Lieber Herr Therapeut,

    in den letzten Tagen konnte ich ein paar Dinge für mich sortieren und es würde mir schwer fallen diese Dinge auszusprechen, deswegen schreibe ich Ihnen erneut einen Brief.

    Wenn ich das Folgende sage, bin ich mir darüber im Klaren, dass es sich dabei um einen Wunsch handelt, der sich nicht erfüllen lässt. Ich glaube aber, dass es für mich wichtig ist, es Ihnen zu sagen, um das Thema für mich abzuschließen zu können.

    Ich hatte in der letzten Sitzung gesagt, dass die therapeutische Beziehung für mich in keine Kategorie passt und dass es mir deswegen schwer fällt, diese einzusortieren. Das hat vor allem auch damit zu tun, dass ich für mich viele Dinge durcheinander geworfen hatte, die ich jetzt versucht habe, wieder auseinander zu dividieren. Vor allen Dingen hatte ich auch Privatheit mit Intimität verwechselt und auch Sympathie mit dem Wunsch eine Art von persönlicher Beziehungen anzustreben, so als wäre das eine zwingende Folge aus dem anderen.

    Ich weiß jetzt, dass es nicht notwendig ist, jemandem zu vertrauen – Nein falsch! – Dass ich einen Menschen nicht zwingend mögen muss, um ihm vertrauen zu können, was aber nichts daran ändert, dass ich Sie mag und mir wünschen würde, mit Ihnen eine private Beziehung zu pflegen und jetzt wo ich schon einfach hier alleine bin, fällt es mir schwer, das so zu formulieren und der Gedanke, es vor Ihnen auszusprechen, erscheint mir absolut absurd.

    Sie müssen jetzt aber sicherlich keine Bedenken haben, dass ich Sie stalken werde – das lösche ich dann später – Ohne Sie privat zu kennen, habe ich zumindest eine Ahnung davon, dass wir bestimmte Gemeinsamkeiten haben und ich gerne mit Ihnen – beispielsweise – ins Theater gehen oder andere kulturelle Veranstaltungen besuchen würde, aber das wird sich so nicht realisieren.

    Denn die therapeutische Beziehung, die ich zu Ihnen habe, ist eine professionelle Beziehungen und keine private. Diese Beziehungen ist nicht Teil meiner privat gelebten Gegenwart, auch wenn ich mir das wünsche.

    Ich vertraue Ihnen und Ihrer fachlichen Kompetenz als Therapeut, aber ich vertraue Ihnen nicht als Mensch. Für die therapeutische Beziehung ist diese erst genannte Art des Vertrauens ausreichend und adäquat.

    Als ich vor fünf Jahren zu Ihnen kam, dachte ich, ich würde mit Ihnen mehr über meine Kindheit sprechen und es stellte sich im weiteren Verlauf heraus, dass ich Probleme in der Gegenwart hatte, die ich mit Ihrer Hilfe gut lösen konnte. Im Rückblick war ich sehr erleichtert darüber, dass sich die Gegenwart hineingedrängt hatte und ich eben nicht über meine Kindheit – im Detail – mit Ihnen sprechen musste, weil mich das von dem Druck befreite, über Dinge zu sprechen, über die ich nicht sprechen möchte.

    Denn die Vergangenheit macht mir Angst. Ich weiß selbst nicht, was mich erwarten wird. Ich muss oder ich werde versuchen Kontrolle abzugeben und ich muss mich darauf verlassen können, dass Sie das mit mir zusammen machen. Ich bin mir jetzt darüber klar geworden, dass ich in meinem Umfeld einige Personen habe, die mich in meiner Gegenwart begleiten und dass ich meine Leben im Heute gut bewältigen kann und dort auch Unterstützung habe. Ich brauche Ihre Hilfe aktuell nicht, um ein Heute meistern zu können, sondern ich brauche Sie, um über meine Vergangenheit sprechen zu können und ich bin mir sicher, dass Sie das auch fachlich und sachlich können.

    Ich habe aber vor allem trotzdem Angst davor, dass Sie mich enttäuschen könnten, weil ich das Gefühl habe, ich würde mich schutzlos ausliefern und ich aus der Vergangenheit weiß, wie stark Enttäuschungen mich erschüttern. Ich weiß, dass diese Angst auch in Ordnung ist, da sie keine sachliche bzw. rationale Grundlage haben muss, um sie zu fühlen.

    Ich habe Angst, weil ich mir nicht sicher bin, ob ich eine weitere Enttäuschung überleben kann und wenn ich mich auf diese gemeinsame Therapie einlasse, werde ich Dinge sagen, die sehr viel Raum für Enttäuschung eröffnen und ich habe einfach schon zu viel Angst gehabt.

    Und auch wenn das banal klingt, habe ich Angst davor zu weinen, weil doch meine Gefühle das Einzige sind, was ich nach außen hin kontrollieren kann – ich denke das zumindest – und das deutlichste Zeichen für mich dafür, dass ich Gefühle habe, ist das Weinen. Wenn sie mich weinen sehen, wissen Sie, dass ich Gefühle habe.

    Bitte gehen Sie mit mir behutsam um. Und bitte enttäuschen Sie mich nicht.

    Herzliche Grüße,